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Berlin: Die Angst geht um in Gropiusstadt

14-Jähriger wurde krankenhausreif geschlagen. Anwohner fühlen sich von Banden terrorisiert

Dass einem Vergewaltigung und sogar Mord angedroht wird, dass vor der berüchtigten Disko „U7“ jedes Wochenende Polizeisirenen heulen, dass man gewisse Plätze meiden sollte, weil sich dort „degradierte Hirne irgendwelche Scheiße ausdenken“, das alles ist für Renate Schade längst normal. Erst in der Nacht zum Freitag wurde wieder ein 14-Jähriger ausgeraubt und so brutal zusammengeschlagen, so dass er mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus kam. Die Täter sind abgetaucht.

„So was passiert hier jeden Tag“, sagt Renate Schade. Sie arbeitet im „Wasserfloh“, einer Kneipe an der Kreuzung Lipschitzallee/Fritz-Erler-Allee. Hier, das ist Gropiusstadt, am südlichen Rand von Berlin.

Die Satellitensiedlung sieht so aus, wie man sich in den Siebzigern die perfekte Stadt vorgestellt hat: Hochhäuser aus Beton, dazwischen eine Menge Grün und breite Straßen. Gut 30 Jahre später ist sie nur noch ein einziger Albtraum – vor allem für die Bewohner. Überfälle auf offener Straße sind keine Seltenheit, sondern die Regel. „Das kommt dort immer wieder vor, wenn auch nicht in dieser Brutalität“, sagt auch die Polizei, die längst „feste kriminelle Gruppierungen“ ausgemacht hat. „Diese Gegend ist eben ein Ghetto für sich“, sagt Schade und zeigt auf die grauen Häuser, die die ganze Umgebung in dunkle Schatten tauchen. Direkt am Fuß einer dieser Burgen auf der anderen Straßenseite befindet sich das „Brazil“. Dort sitzen Cargis und Timo, wie jeden Tag. Die Teenager warten auf den Schulbus – seit Cargis hier einmal auf offener Straße angegriffen und seines Handys entledigt wurde, tun sie das lieber im sicheren Café. Arabische Jugendliche zwischen 14 und 18 mit Messern hätten ihn ausgeraubt, erzählt Cargis und nickt in Richtung Hochhaus. „Die wohnen alle hier in der Gegend.“

Nach dem Überfall haben ihn die Eltern aufgefordert, seine Wertsachen immer gut zu verstecken. Die meisten anderen gehen noch einen Schritt weiter und begleiten ihre Kinder zur Schule. „Wenn wir später nach Hause kommen, sollen wir aber auch anrufen“, sagt Timo und trinkt einen Schluck Wasser. Den bekommt er im „Brazil“ umsonst. Denn der Besitzer weiß, was die Jungs durchgemacht haben. Er wurde abends direkt vor seinem Café überfallen und verlässt es seitdem nicht mehr ohne eine leere Flasche zur Verteidigung. Auch Sylvia, die heute hinterm Tresen steht, weiß, dass man „abends höllisch aufpassen muss. Wenn ich nach der Arbeit zum Auto gehe, muss immer einer mitkommen.“ Das Auto steht zehn Meter hinterm „Brazil“ – direkt vor dem Hochhaus.

Darin wohnt eine ältere Frau, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte. Seit dreißig Jahren lebt sie hier, berichtet sie, „und es wird immer schlimmer. Nach Sonnenuntergang gehe ich nicht mehr freiwillig aus dem Haus.“ Doch selbst in ihrer Wohnung fühlt sie sich nicht mehr sicher. Mehrmals wurde schon im Haus eingebrochen, und immer in der Zeit vor Weihnachten klingelt es plötzlich nachmittags an der Tür. „Die wollen gucken, wann jemand zu Hause ist – und wann sie ungestört einbrechen können.“ Als sie herzog, sei das noch nicht so gewesen. „Da wohnte hier eine ganz andere Klientel. Mittlerweile gibt es ja nur noch Sozialhilfeempfänger.“

Dann macht sie sich auf den Weg zum Einkaufen – im Schutz des Tages, versteht sich. Denn sie muss zum Lipschitzplatz am U-Bahnhof Lipschitzallee, wo vor kurzem ein Rollstuhlfahrer und sein Begleiter grundlos angegriffen wurden. Es ist ein Platz, den man im Dunkeln besser nicht betreten sollte, weil die Jugendbanden dort ihre Hauptquartiere bezogen haben, um zu provozieren und zu randalieren. „Wir machen deswegen immer schon um 18 Uhr zu“, sagt die Besitzerin des Zeitungskiosks auf dem Platz.

Der Kiosk hatte mal Glasscheiben, jetzt ist er wegen der ständigen Attacken vollständig verbarrikadiert. „Täter sind sind meist arabische Kids“, sagt die Frau. „Die können kaum über den Tresen gucken, geben aber schon freche Antworten.“ 18 Jahre hat sie hier gewohnt, dann hatte sie keine Lust mehr, sich ständig „anmachen und anpöbeln“ zu lassen. Sie pendelt trotzdem noch jeden Tag hierher zu Arbeit. Mit dem Auto, obwohl die U-Bahn direkt vor der Tür hält. „Aber dazu müsste ich ja in den Bahnhof.“

Christian Hönicke

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