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Berlin: Die Angst vor dem Virus

Andrang in der Rettungsstation: Nach Aids-Alarm haben sich bislang 56 Opfer und Helfer in der Charité gemeldet

Der Andrang in der Rettungsstelle der Charité war groß, nachdem am Samstagabend bekannt geworden war, dass einer der Verletzten des Amoklaufes mit dem Aids-Virus infiziert ist. Insgesamt 56 beim Amoklauf verletzte oder sonst davon betroffene Männer und Frauen wurden dort am Abend und in der Nacht versorgt, sagt Sprecherin Kerstin Endele. Sechs zusätzliche Ärzte sowie ein Psychologe und etliche Krankenschwestern arbeiteten die Nacht durch.

Unter den Patienten waren neben denen, die ohnehin stationär behandelt wurden, auch viele Ersthelfer – also Passanten, die sich nach dem Amoklauf sofort um die Verletzten gekümmert hatten. Aber auch Polizisten und Feuerwehrbeamte, die an jenem Abend Kontakt mit den Opfern hatten, meldeten sich bei der Rettungsstation, hieß es bei der Polizei.

Die Polizei hatte über die Medien verbreiten lassen, dass alle Verletzten – auch solche mit kleinen Schnittwunden – sowie Helfer zur ärztlichen Untersuchung in die Rettungsstelle kommen sollten. Ein Infektionsrisiko sei zwar gering, aber dennoch nicht ausgeschlossen. Auch am gestrigen Sonntag kamen noch Betroffene in die Charité – allerdings waren darunter keine Opfer mit Stichverletzungen mehr.

Von den 56 Patienten der Charité erhielten 28 ein so genanntes retrovirales Medikament. Es soll die Aids-Gefahr um 80 Prozent mindern. „Genau genommen sind es drei Substanzen in Tabletten, die als Kombinationstherapie verabreicht werden“, sagte der diensthabende Oberarzt der Infektiologie an der Charité, Dirk Schürmann. Auch die sieben Opfer mit Stichverletzungen, die stationär in den Vivantes-Kliniken behandelt worden waren, erhielten das Prophylaxe-Medikament. Dies sagte Keikawus Arastéh, Direktor der Klinik für Innere Medizin – Infektiologie am Auguste-Viktoria-Klinikum.

Am besten sei es, wenn das Prophylaxe-Medikament „so schnell wie möglich“ eingenommen werde. Es gebe aber keine genaue Statistik. Bei den Medizinern ist man sich aber einig, dass eine erste Einnahme länger als 72 Stunden nach einer Infektion kaum mehr erfolgversprechend ist. Zunächst einmal vier Wochen müssen die Patienten das Medikament nehmen. Der erste HIV-Test wird zunächst nach drei Wochen, dann einer nach sechs Wochen und ein letzter nach drei Monaten gemacht.

Bei den restlichen Patienten sei eine Prophylaxe nicht notwendig gewesen. „Im Beratungsgespräch wurde eine Risikoabwägung vorgenommen“, erklärt Schürmann. Wenn beispielsweise ein Betroffener Kontakt mit Blut auf einer unverletzten, intakten Hautstelle gehabt habe, könne auf eine Prophylaxe verzichtet werden. Schließlich seien Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel wie bei allen anderen Medikamenten nicht ausgeschlossen.

Doch das Infektionsrisiko nach den Messerstichen am Freitag ist nach Einschätzung der Mediziner sehr gering. Sie vergleichen die Behandlung mit der, die bei Stich- und Nadelverletzungen von Krankenhauspersonal mit HIV-infiziertem Blut angewendet wird. Eine Infektion war demnach nur in drei von 1000 Fällen wahrscheinlich. Auch die Tatsache, dass das mit dem Virus infizierte Amok-Opfer eine sehr geringe Virusbelastung habe, verringere das Risiko, sagt Schürmann. Diese Tatsache habe die meisten Patienten im Beratungsgespräch sehr beruhigt, sagt Schürmann. „Sie standen zunächst noch unter Schock nach der Tat. Als sie dann von dem HIV-Risiko erfuhren, waren sie zusätzlich verängstigt, als sie hierher kamen“, sagt der Oberarzt. Doch als sie erklärt bekamen, wie gering das Risiko ist, seien die Patienten wieder sehr gefasst gewesen.

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