zum Hauptinhalt
Flut und Regen. Bilder wie dieses wird es künftig wohl öfter geben: Nach einem Sommergewitter rauschen die Wassermassen in einen U-Bahnhof in der City West. Weil sich Wetterextreme schon jetzt häufen, muss die Infrastruktur der Stadt angepasst werden: Mal müssen Regenfluten schnell abfließen, mal wochenlange Trockenperioden überbrückt werden. Foto: dpa

© dpa

Berlin: Die Aussichten: extrem unbeständig

In der Urania debattierten Experten, was der Klimawandel für die Berliner langfristig ändern wird

Auch wenn es durch den Klimawandel wärmer wird, werden die Berliner auf lange Sicht wohl enger zusammenrücken müssen – in verdichteten Kiezen, die durch einen möglichst umweltfreundlichen öffentlichen Nahverkehr vernetzt sind. Das ist nicht nur sinnvoll, sondern kaum vermeidlich, weil Reisen teurer geworden und der motorisierte Individualverkehr in der heutigen Form praktisch verschwunden sein wird.

Ein derartiges Szenario beschrieben Experten am Donnerstagabend in der Urania bei der Podiumsdiskussion „Klimawandel und Stadtentwicklung – Wie kann und muss sich Berlin vorbereiten?“ Als Teil der Reihe „Stadt im Gespräch – Berlin im Wandel“ wurde die Debatte vom Tagesspiegel gemeinsam mit der Architektenkammer Berlin veranstaltet.

Obwohl die Durchschnittstemperatur wohl nur um etwa 2,5 Grad ansteigt, erwarten die Experten ein deutlich verändertes Wettergeschehen: Die Berliner müssen sich auf teils enorm regenreiche Winter sowie heiße Sommer mit langen Trockenperioden einstellen. Dabei werden hochverdichtete Innenstadtbereiche zu „Hitzeinseln“, in denen vor allem alte und kranke Menschen leiden, so Thorsten Tonndorf, Referatsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

„Der Hitzestress wird für die alternde Gesellschaft ein absolutes Problem“, ist auch die scheidende Gesundheits- und Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) überzeugt. Langfristig könnte im Sommer gar das Trinkwasser knapp werden. Deshalb brauche Berlin ein „intelligentes“ Wassernutzungssystem, das im Winter Vorräte für den Sommer schafft.

Um Verkehr zu vermeiden und Ressourcen zu schonen, halten die Experten eine Verdichtung der Stadtteile anstelle weiträumiger Siedlungsflächen für erforderlich. Von einer „kompakten Stadt der kurzen Wege“ war die Rede. Die soll bei weitgehendem Verzicht aufs Auto durch ein mit Ökostrom betriebenes Nahverkehrsnetz erschlossen werden. Dafür müsse der Nahverkehr aber „wesentlich besser funktionieren als heute“, betonte Matthias Lüdeke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Lompscher sieht die Ausgangslage optimistischer: „Wenn die S-Bahn auch im Winter fährt, ist alles großartig.“

Für Entrüstung sorgte Matthias Lüdeke mit seiner These, dass Grün nicht zwangsweise die bessere Lösung zur Verbesserung des Stadtklimas ist. Zur Abschattung der Häuser seien Markisen besser geeignet. Die lassen sich abends aufrollen und ermöglichen den Abzug der Tageshitze, die sich dagegen unter Baumkronen stauen könne. Begrünte Fassaden und Dächer würden den Einsatz von Solaranlagen verhindern. Und Frischluftschneisen könnten auch durch entsprechende Bebauung geschaffen werden.

„Der Tiergarten wird nicht bebaut“, beeilte sich Tonndorf daraufhin zu versichern. Aus Sicht von Lompscher wird der 40-prozentige Anteil von Grün- und Wasserflächen in der Stadt künftig noch viel wichtiger für die Berliner: Wegen gestiegener Preise im Zeitalter des knappen Erdöls würden sich viele Menschen keine Flugtickets mehr leisten können und „auch sonst ökonomische Probleme haben, etwas weiter wegzukommen“. Entsprechend wichtig wird die Lebensqualität vor der Haustür.

Doch auch die Pflanzen müssen sich auf den Klimawandel einstellen. So wird nicht nur der Grunewald bereits von einem Kiefern- in einen robusteren Mischwald umgestaltet, der auch größere Erholungsqualität bietet, berichtete Tonndorf.

Für Ulf Sieberg vom Naturschutzbund Nabu geht es bei dem Thema um Grundsätzliches. „Worüber wir hier reden, ist eine Lebensstilfrage: Wie sollen oder müssen wir 2050 leben?“ Klimaschutz sei auch die Sache jedes Einzelnen. Jeder Berliner sollte sich fragen: „Inwieweit bin ich Teil des Problems, und wo bin ich Teil der Lösung?“

Dennoch werden sich Maßnahmen wie eine flächendeckende energetische Gebäudesanierung nur ordnungsrechtlich durchsetzen lassen, sagte der Nabu-Vertreter. Die Heizungen sind der größte Einzelposten auf der Energierechnung der Bürger. Wenn es gelingt, den Bürgern den Sinn von Vorschriften zu vermitteln, würden diese auch akzeptiert, betonte Katrin Lompscher, deren Entwurf eines Berliner Klimaschutzgesetzes im vergangenen Jahr gescheitert war.

Am Ende der vom Leitenden Tagesspiegel-Redakteur Gerd Nowakowski moderierten Podiumsdiskussion konnten die Teilnehmer die zahlreichen Besucher beruhigen: „Worauf man sich einstellen muss, ist eine Veränderung, aber kein Verlust von Lebensqualität“, sagte Lüdeke. Tonndorf war sogar „guter Hoffnung, dass wir die Attraktivität der Stadt und die hohe Lebensqualität ohne große Einschränkungen aufrecht erhalten können“. Und Lompscher ist überzeugt: „Berlin sieht in 40 Jahren nicht viel anders aus als heute.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false