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Berlin: „Die Ausweisung fürchten viele mehr als Gefängnis“

Ehrhart Körting (SPD) will die jugendlichen Serientäter stärker mit der drohenden Abschiebung abschrecken Der Innensenator fordert bei Straftaten eine noch schnellere Reaktion des Staates. Von schärferen Gesetzen hält er aber nichts

Herr Körting, als München den Serientäter Mehmet in die Türkei abgeschobenhat, ist die Kriminalität unter den ausländischen Jugendlichen gesunken. Kannsich Berlin diese Erfahrung nicht zunutze machen?

Ich warne davor zu glauben, dass wir mit einer Massenausweisung das Problemder Intensivtäter lösen können. Tatsache ist aber, dass wir in der jüngeren Vergangenheitrund zehn jugendliche Serientäter ausgewiesen haben. Viele von ihnen sind wegenRaubes oder räuberischer Erpressung verurteilt worden.

Was sich auf die Statistik nicht ausgewirkt hat.

Das muss sich offenbar erst in der Szene herumsprechen. Aber Mitarbeiter von Ausländerbehörde und Polizei berichten tatsächlich immer wieder, dass die Ausweisung eine Maßnahme ist, die die Betroffenen besonders fürchten, vielleicht sogar mehr als eine Gefängnisstrafe.

Über Mehmets Ausweisung wurde bundesweit berichtet, um die Berliner Serientätergab es dieses Aufsehen nicht.

Deshalb stellen wir auch immer wieder fest, dass die Jugendlichen und ihre Eltern völlig überrascht und geradezu erschrocken sind, dass nach Straftaten auch eine Ausweisung folgen kann. Offenbar birgt die Drohung großes Abschreckungspotenzial, und deshalb werden wir das künftig unter den Jugendlichen offensiv propagieren.

Wie das?

In der Ausländerbehörde führen wir jetzt verstärkt Präventivgespräche mit den Jugendlichen, damit sie wissen: So etwas kann mir auch passieren. Davon verspreche ich mir einiges.

Manche Ermittler sind trotzdem frustriert und fordern jetzt schärfere Gesetze,da man den typischen jugendlichen Serientäter nur mit Gefängnis oder Ausweisungbeeindrucken könne. Was halten Sie davon?

Ich sehe im Moment keinen richtigen Anlass zu Frust. Natürlich haben wir ein Problem mit den jugendlichen Serientätern. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in der Vergangenheit nicht schnell genug reagiert haben. Weil man zu oft Milde hat walten lassen, ist bei einigen Straftätern der Eindruck entstanden, dass der Staat ein Papiertiger ist. Aber das haben wir verändert durch die gemeinsame Ermittlungsgruppe von Staatsanwaltschaft und Polizei. Jetzt wird schneller reagiert, und das zeigt auch schon Wirkung.

Die Prognose der Staatsanwälte klingt düster: Demnach gibt es mehrere tausendJugendliche, die jederzeit serienweise Straftaten begehen könnten …

Es ist auch ein Zukunftsproblem, auf das wir reagieren. Wir haben noch keine Wunder vollbracht, aber es ist uns gelungen, stärker in diesen Bereich der Intensivtäter hineinzukommen und einen nicht unerheblichen Teil von ihnen aus dem Verkehr zu ziehen. Das neue Konzept greift. Aber es muss weiterhin daran gearbeitet werden.

Wie kann es verbessert werden?

Wir müssen noch schneller werden. Es geht nicht an, dass ein 14-jähriger Jugendlicher etwas anstellt und als Reaktion dann erst nach Monaten eine Vorladung erhält. Jugendliche Straftäter sind jung und männlich …

… und meist arabischer oder türkischer Herkunft.

Richtig ist, dass rund 80 Prozent der Intensivtäter einen Migrationshintergrund haben. Bei diesem Phänomen spielen soziale Probleme sicherlich eine Rolle, aber man muss auch berücksichtigen, dass die Familien der Jugendlichen oft aus einem Bürgerkriegsland kommen, wo gewissermaßen das Faustrecht herrscht. Wo die Familie sehr patriarchalisch geprägt und die Prügelstrafe an der Tagesordnung ist. Jugendliche, die so aufwachsen, sehen auch eher in der körperlichen Auseinandersetzung eine Konfliktlösung. Dies festzustellen, heißt nicht zu stigmatisieren. An diesem Problem müssen wir mit den Migrantenverbänden arbeiten. Ich erwarte von den Eltern, dass sie sich bei der Erziehung unseren Werten öffnen.

Von Strafverschärfungen halten Sie also gar nichts?

Wir haben unsere gesetzlichen Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Das Jugendstrafrecht ist relativ flexibel, das heißt: Der Richter kann auch bei einem Ersttäter eine Freiheitsstrafe verhängen, wenn er bei dem Jugendlichen eine hohe Sozialgefährlichkeit sieht und sich von der Unterbringung eine pädagogische Wirkung verspricht.

Aber wird das auch getan?

Wenn ich mir die in der letzten Zeit verhängten Strafen ansehe, habe ich den Eindruck: Die Generation der Richter, die alles verstehen und alles verzeihen, hat abgedankt. Mit dem flexiblen Jugendstrafrecht können wir alle erreichen: Den eher harmlosen Jugendlichen, der ein oder zwei Mal auffällig wird – und dann nie wieder. Aber eben auch die wirklich schweren Fälle. Die Debatte um schärfere Strafen halte ich deshalb für eine Scheindiskussion.

Das Gespräch führte Katja Füchsel.

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