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Berlin: Die Bahn will den Anschluss zur Jugend finden und initiierte die Imagekampagne "Deiner"

Im Raucherabteil eines Regionalzuges zu fahren, ist echt voll geil. Die roten Kunstlederbezüge und die massiven Messing-Gepäckregale sind voll fett.

Im Raucherabteil eines Regionalzuges zu fahren, ist echt voll geil. Die roten Kunstlederbezüge und die massiven Messing-Gepäckregale sind voll fett. Und wenn samstagsabends um 22 Uhr 30 der letzte Zug von Kleinschmöckwitz nach Hause fährt, geht die Party eben im "Deiner" weiter. "Deiner" heißt die Jugendmarke der Deutschen Bahn AG. Das ist "Deiner", will sagen: Das ist Dein Zug, Dein Schaffner, Dein verwässerter "Mitropa-Genuss-in-einem-Zug"-Kaffee, Dein Nachlösezuschlag.

Seit zwei Jahren gibt es die pompös gestaltete, auf die 15- bis 29-jährigen Regiorailer zugeschnittene Marketingkampagne. Denn 1997 hatte eine Marktstudie des Ernest-Dichter-Institutes belegt, dass "die Jugendlichen die Bahn als notwendiges Fortbewegungsmittel akzeptieren, sie aber häufig als uncool empfinden." Seitdem ist einiges passiert - Der Hip-Hop-Zug und ein Flyer namens "Zugzwang" wurden geboren. Aus dem Gesellschaftswagen, mit dem unsere Mütter samt Damenkegelclub eierlikörselig durch die Lande gondelten, ist "Deiner" geworden. Statt "4711"-Erfrischungstüchlein reichten verkappte Bahn-Promoter letzten Hochsommer als "Deiner FrischeBieter" auf bundesdeutschen Bahnhöfen Miniventilatoren, Migräne-Masken, Fußspray, Energy-Drinks und tragbare Duschen. Die Hip-Hop-Compilation "Deiner tracks" verkaufte sich so gut, dass man neuerdings auch Butterbrotdosen und Umhängetaschen mit dem Logo im Tagg-Stil kaufen kann und soeben eine zweite CD mit Musik von DJ Sepalot ("Blumentopf") und DJ Mem Brain (MC Rene) erschienen ist.

Grund genug für eine standesgemäße Record-Release-Party, dachten sich die Werber, und machten aus der Stückguthalle zwischen Warschauer Straße und Ostbahnhof eine Industrial-Bar mit ausgelagerten Dixi-Klos. Streng bewacht der Eingang: Bahn-Fans ohne Einladung, die den versteckten Einlass tatsächlich gefunden hatten, mussten zurückbleiben. Alle anderen, ganze Agenturen aus neuen Branchen, bekamen eines dieser Bänder um den Hals, die bereits unsere Mütter als Schlüsselkinder outeten. 400 Gäste waren geladen, weit weniger fanden den Weg zu ihrem "Deiner", dessen Waggons ein bisschen einsam herumstanden und in dessen dunklen Abteilen rein gar nichts passierte - Schlafwagen ohne Aufpreis, Fensterplätze ohne Sitzplatzreservierung. Nur im Barwagen, Generationen entfernt vom klassischen "Mitropa"-Bistro, bestellten ein paar Gäste Getränke. Diese, und heiße Würstchen, spendierte die Deutsche Bahn.

Aus Frankfurt kam auch Bahn-Marketingleiter Hans-Werner Franz, der angesichts der geballten Jugendkultur in der Stückguthalle etwas hilflos wirkte. "Bei der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen", gab Franz zu, "haben wir eindeutig ein Imageproblem." Junge Leute würden den Zug meist nur für die Wege zur Arbeit oder zur Schule nutzen. Trotzdem schloss Franz "Diskussionen um ein neues Preissystem" für das bisher günstige "Guten-Abend-Ticket" nicht aus. In Mecklenburg sei darüber hinaus das "Deiner"-Abendticket zum Preis für acht Mark im Gespräch. Das "Schöne-Wochenende"-Ticket soll vorerst erhalten bleiben.

Ein richtig jugendliches Hip-Hop-Festival mit breakdancenden Jungs hatten sich die Marketingfachmänner wahrscheinlich gewünscht, und dass junge Kunden auf den Zug aufspringen, sich umgehend die Bahn Card kaufen, das Taggen sein lassen und danach überall rumerzählen, wie cool "Deiner" ist. Aber ihr letzter Inter-Rail-Trip liegt höchstwahrscheinlich bereits einige Zeit zurück. Anschluss verpasst.

Esther Kogelboom

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