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Berlin: Die Berliner Olympia-Teilnehmer: Leseratte auf dem Eis

Jenny Wolf studiert an der Humboldt-Universität Germanistik und Soziologie. In diesem Semester kommt sie kaum dazu.

Jenny Wolf studiert an der Humboldt-Universität Germanistik und Soziologie. In diesem Semester kommt sie kaum dazu. Sie hat den Hörsaal mit einem Traum getauscht: Olympia. Ihre Eltern saßen am letzten Donnerstag nachts in Neuenhagen bei Berlin unruhig vor dem Fernseher. Eisschnelllauf über 500 Meter stand in Salt Lake City auf dem Programmm. Sie waren zu zweit. "Wir hätten höchstens ganz enge Freunde als Beistand gebrauchen können. Die interessieren sich aber nicht für Eisschnelllauf", sagt Marianne Wolf. Die jüngere Tochter lebt zur Zeit in Irland. Unruhig wartete das Ehepaar auf den Auftritt seiner ältesten, 23-jährigen Tochter. Spät nachts dann die Erleichterung: persönliche Bestzeit für Marianne. Der Entscheidung in der nächsten Nacht sah die Mutter schon gelassener entgegen. Platz 15 für Jenny. Obwohl sie so schnell lief wie die US-Amerikanerin Chris Witty, die auf Rang 14 gesetzt wurde. Marianne Wolf ist zufrieden mit dem Abschneiden ihrer Tochter, die sich gerade in die Weltspitze vorgearbeitet hat und zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilnimmt. Jenny ist auf den ersten 100 Metern jetzt schon eine der drei, vier Besten der Welt. "Nur in der anschließenden fliegenden Runde hat sie noch Probleme", sagt ihr Trainer Thomas Schubert. So nennen die Eisschnellläufer die Runde, die dann die 500 Meter komplettiert. Weil die ganze Bahn immer 400 Meter lang ist, starten die 500-Meter-Sprinter 100 Meter vor der Ziellinie.

Thomas Schubert, der beim Deutschen Eisschnelllaufverband angestellt ist, trainiert Jenny Wolf seitdem sie 18 ist. "Sie ist eine richtige Edelsprinterin, die auch alle körperlichen Voraussetzungen mitbringt", sagt er. Für eine Sprinterin sei sie ungewöhnlich ruhig: "Das sind ja oft ganz impulsive Typen." Mutter Jenny sieht das genauso, sie ergänzt aber: "Die Jenny hat eine ganz starke Willenskraft. Die weiß, was sie will." Offenbar auch schon als Kind. Mit acht Jahren, da lebte sie mit ihren Eltern noch in Marzahn, fing sie an mit dem Eisschnelllauf beim SC Dynamo Berlin. Die Mutter hatte in der Jungen Welt gelesen, dass der Verein den Eistanz beleben wollte. Das kam für die kleine Jenny aber nicht in Frage. Die Mutter erkundigte sich nach der Adresse für den Eisschnelllauf. Noch heute trainiert Jenny im Sportforum Hohenschönhausen, auch wenn ihr Verein mittlerweile SC Berlin heißt. Für die Zukunft ist ihr die Langsamkeit des Lesens genauso wichtig wie ihr schneller Sport. Sie kann sich vorstellen, an der Uni zu bleiben - als Wissenschaftlerin.

stb

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