zum Hauptinhalt

Berlin: Die Bernauer Straße soll von Flucht und Teilung erzählen Die Erweiterung der Mauergedenkstätte kommt voran: Bald beginnt ein Wettbewerb zur Gestaltung von 50 Erinnerungsorten

Von Werner van Bebber

Die Bernauer Straße soll bald auf einer Länge von mehr als einem Kilometer die Geschichte der Mauer und der Teilung Berlins erzählen. Etwa 50 markante Punkte an der Bernauer Straße haben Mitarbeiter der Mauergedenkstätte gefunden – wenn sie markiert sind, lasse sich an ihnen die Geschichte der Teilung erzählen, sagt Gabriele Camphausen, Vorsitzende des Vereins Berliner Mauer. Noch vor dem Sommer will der Verein einen Wettbewerb zur Gestaltung der Erinnerungsorte und zur Darstellung der Teilungs- und Fluchtgeschichten an der Bernauer Straße ausloben. Er soll am Ende dieses Jahres entschieden sein. 2008 könnte das Ergebnis realisiert werden.

Zu den Erinnerungsorten in der Nähe der Gedenkstätte Berliner Mauer im Bezirk Mitte gehören Relikte der Grenzbefestigungsanlagen, Grundmauerreste von Häusern, die abgerissen wurden, um Fluchten zu verhindern. Wichtiger noch sind die Schicksale, die mit den Orten verbunden und die nun neu erzählt werden sollen. Es sind die Geschichten von geglückten und gescheiterten Fluchten, von Tunnelprojekten und tödlichen Schüssen. Diese Geschichten zeigten, welche Lebenswege durch die Teilung der Stadt „hier jäh unterbrochen“ worden seien, sagt Camphausen.

Der Wettbewerb ist nach der Ermittlung der Erinnerungsorte der zweite wichtige Schritt zur Erweiterung der zentralen Mauergedenkstätte. Deren Ausbau haben der Berliner Senat und der Bund beschlossen, um die Geschichte der Teilung Berlins in der Stadt wieder deutlicher erkennbar und erfahrbar zu machen.

Mit dem umstrittenen Kreuze-Mahnmal am Checkpoint Charlie hatte im Sommer 2004 die Debatte über die Sichtbarkeit der Teilungsspuren in Berlin begonnen. Zwei Jahre dauerte die Diskussion über den Umgang mit der Mauer. Es ging darum, wie Berlin-Besuchern das Funktionieren der Grenzregimes vermittelt werden soll, wie Weltpolitik den Verlauf von Einzelschicksalen bestimmt, wie gefühlig Geschichtspolitik sein soll. 2006 legte der damalige Kultursenator Thomas Flierl ein Konzept zum Mauergedenken vor. Es sieht den Ausbau der Gedenkstätte an der Bernauer Straße vor.

Camphausen bemerkt seit einigen Jahren ein deutlich wachsendes Interesse an der Geschichte der Teilung. 228 000 Besucher kamen 2006, in diesem Jahr könnten es 300 000 werden. Die Lebens- und Fluchtgeschichten der Bernauer Straße sollen die Teilung der Stadt deutlicher erfahrbar machen als alles, was bislang auf der Gedenkstätte zu sehen ist. Sie besteht aus einem abstrakt wirkenden Kunstwerk, das allenfalls die Tiefe des Todesstreifens ahnen lässt. Camphausen sagt, die Erweiterung der Gedenkstätte auf die Teilungsgeschichte der Bernauer Straße über 1,2 Kilometer Länge mache eine Debatte über die genaue Rekonstruktion des Todesstreifens überflüssig. Das Gelände sei so spuren- und ereignisreich, dass es „keine Inszenierung“ brauche. Ein Mauer-Disneyland, wie früher befürchtet, werde es nicht geben.

Weil es um Lebensgeschichten und Schicksale geht, sei Anteilnahme ebenso möglich wie die Vermittlung von Sachwissen, sagt Camphausen. Zu den bereits ermittelten 50 Erinnerungsorten können außerdem ständig neue kommen – so werde das Gedenken zum Prozess. Die Aufmerksamkeit für die Lebensgeschichten an der Mauer glaubt Camphausen auch ein „Erwartungsdesaster“ wie bei der Eröffnung des Mauerdenkmals 1998 verhindern zu können. Das Denkmal bleibt Teil der gesamten Gedenkstätte. Camphausen sagt: „Die Brache soll ihre Aussagekraft als Wunde in der Stadt behalten.“

Zur Startseite