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Berlin: Die Blechmacher

Seit 1904 produziert die Berliner Plakat-Industrie Werbe- und Hinweisschilder aus Metall

So wurde einst Reklame gemacht: Kinder sitzen auf einer Mondsichel und löffeln Maggi-Suppe. Legendär ist die schneeweiße Persilfrau auf grünem Hintergrund, und ein barfüßiger Junge wirbt für Schultheiss. Die Motive finden sich auf den seinerzeit üblichen Blechschildern und stammen alle von der Firma Berliner Plakat-Industrie in Neukölln. Auf der Suche nach Material für ein Buch über Reklame auf Blech war Holger Steinle, heute Abteilungsleiter im Deutschen Technikmuseum, auf die Firma in der Schinkestraße 20 gestoßen. Dort stapelten sich historische Werbeschilder aus Blech meterhoch. „So ein großes Archiv gab es in ganz Deutschland nicht“, sagt Steinle. Schätze lagen da, etwa eine Rama-Werbung aus der Zeit, als die Margarine noch mit „H“ geschrieben wurde, oder ein Werbeträger für ein Warschauer Mineralwasser, der Text in lateinischen und kyrillischen Lettern.

Seit 1904 produziert die Gesellschaft für Blechemballage und Plakat-Industrie mbH Werbung auf Blech. Seit dem 1. April vor hundert Jahren, um genau zu sein. Aber die Verwaltungsmühlen mahlten langsam, die offizielle Urkunde war erst am 19. Mai 1904 fertig. Gernot Buettner, Enkel des Firmengründers Harry Buettner und Seniorchef des Unternehmens, besitzt sie noch. „Darauf steht, dass wir die 96. GmbH sind, die in Berlin gegründet wurde“, sagt der 67-Jährige. Die Firma ist ein Familienbetrieb. 35 Personen arbeiten dort, darunter Gernot Buettner, sein Sohn Heiko und dessen Frau Ilona. Gernot Buettner hat die Firma von seinem Vater übernommen, dem sie wiederum auch schon von seinem Vater übertragen wurde. Heute teilt sich der Seniorchef mit Sohn Heiko die Geschäftsführung. „Irgendwann“, sagt Buettner, „wird mein Sohn sagen: Du kannst zu Hause bleiben, Papa. Das habe ich damals auch zu meinem Vater gesagt.“

200 Millionen Euro setzt das Unternehmen jährlich um. Geliefert wird nach ganz Europa. Und Gernot Buettner hofft, dass künftig auch Unternehmen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten vermehrt zu seinen Kunden zählen. Bis nach Brasilien gingen einmal Werbeschilder für Zuckerrohrschnaps. Von Anfang an lieferte die Firma ins Ausland. Größter internationaler Partner war vor dem Ersten Weltkrieg Russland. Die Produktion von Tee-, Kaffee- und Zigarettendosen aus Blech gab Harry Buettner in den zwanziger Jahren auf. Der Lagerplatz für die Dosen fehlte. Auch aus Platzgründen zog das Unternehmen damals nach Rixdorf, ins heutige Neukölln, um. Dann kamen die Inflationsjahre, und der Chef fuhr täglich mit dem Eselskarren zur Bank, um seine Angestellten bezahlen zu können. Neben Werbeschildern für Autos, Bier, Zigaretten, Fluglinien und Ausflugsorte bedruckte die Berliner Plakat-Industrie auch Hinweisschilder. Die ersten warnten vor schnell fahrenden Autos, im Krieg wiesen sie auf den nächsten Luftschutzkeller hin oder trugen die Aufschrift „Vati, komm’ gesund wieder heim“.

Nach Kriegsende ging das Interesse an Blechschildern allmählich verloren. Die Kunden wollten jetzt Kunststoff. Anfang der achtziger Jahre veröffentlichte eine Fernsehzeitschrift einen Artikel über historische Werbung auf Blechschildern. Und plötzlich hatten die Neuköllner wieder viel zu tun. Maggi bestellte jeweils 2000 Exemplare von sechs alten Motiven für eine Sonderaktion zu Weihnachten. Die Nostalgie-Schilder wurden zum Dauerbrenner. Inzwischen hat Maggi einen eigenen Verkaufszweig für die Blechreklamen aufgebaut und 300000 Exemplare verkauft. Erst neulich gab Haribo 65000 Schilder in Auftrag. Heute produziert die Berliner Plakat-Industrie nur noch 20 Prozent ihrer Schilder in Kunststoff und wirbt mit den umweltschonenden Eigenschaften der Blechreklame. „Die Farben sind völlig biologisch abbaubar und Blech rostet ja einfach nur“, sagt Gernot Buettner. Um das zu unterstreichen, gibt es zur Jubiläumsveranstaltung einen Scheck von 5000 Euro für den Umweltschutzverband BUND.

Aus Holger Steinles Nachforschungen wurde übrigens wirklich ein Buch: „Die bunte Verführung“. Damit lag der Sammler von historischen Werbeschildern voll im Blech-Trend. Das Buch über die Geschichte der Metallreklame erschien 1985 und wurde 20000-mal verkauft.

Unter www.plakat-industrie.de können historische Werbeschilder gekauft und individuelle Anfertigungen bestellt werden.

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