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Berlin: Die „chaotische Truppe“ spielt auf Zeit

Die Grünen reagieren gelassen auf die Koalitionsabsage der SPD. Ziel sei ein gutes Wahlergebnis

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht!“ Vor 20 Jahren hat Michael Wendt, Gründungsmitglied der Alternativen Liste, den König Salomon zitiert, als die Vorläufer der Grünen im Parteiblättchen „Stachelige Argumente“ über eine Koalition mit der SPD diskutierten. Sein Vorwurf an die Sozialdemokratie, mit der sich Wendt nicht verbünden wollte: „Sie ließ sich von der Wirklichkeit absorbieren, sie beherrschte sie nicht.“

Das war 1984. Als die rot-grüne Koalition im Januar 2002 beendet wurde, hatte der scheidende Justizsenator Wolfgang Wieland das alte Misstrauen der Grünen gegen die politische Kultur der SPD wiederbelebt. „Was fehlt, ist die Philosophie des Regierens.“ Es gebe keine Vision für die Stadt, „wie Berlin in zehn Jahren aussehen soll“. Genau das ist es, was vielen Berliner Sozialdemokraten, die zum Pragmatismus neigen, auf die Nerven geht: Der erhabene Anspruch an Politik, der sich dem alltäglichen Regierungshandeln oft nicht gewachsen zeigt.

Und so wird das Misstrauen auf beiden Seiten weiter gepflegt. Das schwierige Verhältnis beider Parteien hatte schon 1990 die erste rot-grüne Koalition mit dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper gesprengt. Auf der SPD-Klausurtagung am Wochenende ließen die Abgeordneten, Spitzenleute wie Hinterbankler, keinen Zweifel daran, dass sie nur unter dem Zwang eines entsprechenden Wahlergebnisses 2006 wieder mit den Grünen regieren wollen. „Das sind doch alles Einzelspieler in einer chaotischen Truppe.“ Fast niemand sei ministrabel. Im Bund seien sie loyal, auf Landesebene unkalkulierbar. Das sind Stimmen aus der SPD-Fraktion, die durchaus repräsentativ sind. Nur Wieland kommt gut weg, aber der hat sich aus der Politik zurückgezogen. Und einige Sozialdemokraten hoffen, dass die frühere Umweltsenatorin und EU-Kommissarin Michaele Schreyer reaktiviert wird. Vielleicht sogar als Spitzenkandidatin der Grünen?

Deren Fraktionschef Volker Ratzmann kommentierte die unfreundlichen Töne sehr gelassen. „Es macht doch keinen Sinn, eineinhalb Jahre vor der Wahl darauf zu reagieren“, sagte er gestern. Es sei das gute Recht der Sozialdemokraten, künftige Mehrheitsverhältnisse in Berlin zu ventilieren. „Wir lassen uns Zeit und werden bis zur Wahl 2006 unsere Oppositionsrolle ausfüllen.“ Er sei sicher, fügt Ratzmann versöhnlich hinzu, dass die SPD dies respektiere. Das Ziel der Grünen sei ein „möglichst gutes Wahlergebnis“. Von dem Traum, besser als die SPD abzuschneiden, haben sich die Grünen aber wieder verabschiedet. Auch deshalb ist die Frage, wer Spitzenkandidat werden soll, vorerst kein großes Thema.

Ratzmann verkniff sich auch eine verfrühte Koalitionsaussage. „Wir werden sehen.“ Alle Seiten sollten sich jetzt darauf konzentrieren, sagte er staatsmännisch, „das Beste für unser Land zu tun“. Da wird ihm kein Sozialdemokrat widersprechen. Und natürlich wird die Landes-SPD, wenn es das Wahlergebnis notwendig macht, mit den Grünen – statt mit der PDS – über eine Koalition verhandeln. Auch werden die Berliner Genossen im Herbst 2006 nicht den rot-grünen Lagerwahlkampf der Bundespartei konterkarieren, indem sie ihre Kräfte gegen die Landes-Grünen ausrichten. Der Hauptgegner bleibt auch in Berlin die CDU.

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