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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Corona-Bilanz eines Intensivpflegers: „Über unsere Arbeitsbedingungen will niemand mehr sprechen“

Zu Beginn der Pandemie hoffte Intensivpfleger Ricardo Lange, dass seiner Branche nachhaltig geholfen wird. Jetzt zieht er eine enttäuschte Zwischenbilanz.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, ist Intensivpfleger in Berlin. Hier hat er jede Woche vom Kampf gegen das Coronavirus berichtet, von Provisorien und Hoffnungsschimmern. Heute gibt es die vorerst letzte Folge der Serie, die von Julia Prosinger aufgezeichnet wurde.

Mit den Fallzahlen sank auch das Interesse an der Debatte

Anfang April schrieb ich hier meine erste Kolumne. Ich entschuldigte mich dafür, dass ich mich zuvor auf meiner Facebook-Seite ziemlich undiplomatisch über das Klatschen auf den Balkonen geärgert hatte.

Leser boten mir daraufhin an, Masken zu nähen, weil wir im Krankenhaus zu wenige hatten und sie in einer feuchten Tonne zur Wiederaufbereitung sammelten. Manche wollten mir Gesichtsvisiere basteln, weil wir uns in der Klinik mit Provisorien behalfen. Kollegen machten Gebrauch vom Angebot kostenloser Lieferungen von Fast-Food-Ketten, andere nahmen die Rabatte der Autovermieter an.

Ich wurde von Talkshows angefragt, sprach im Fernsehen über die Arbeitsbedingungen der Pflege. Das Thema, das mich umtreibt, bekam plötzlich Aufmerksamkeit. Ich entwickelte Hoffnung, dass aus dem Applaus mehr werden könnte.

Ricardo Lange an einem freien Tag in seinem Garten.
Ricardo Lange an einem freien Tag in seinem Garten.

© Doris Spiekermann-Klaas

Auch von der Politik gab es positive Signale: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte unsere Arbeit in seiner Osteransprache, Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte einen Corona-Bonus an, „Heldinnen und Helden der Arbeit“ nannte Arbeitsminister Hubertus Heil uns noch im Mai.

Doch ähnlich rasch wie die Fallzahlen der Infizierten, sackte auch die Debatte um den Notstand in der Pflege ab. Wir werden nicht mehr in Talkshows eingeladen, über unsere Arbeitsbedingungen will niemand mehr sprechen.

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Die angekündigte Prämie wurde nach der Salami-Taktik immer kleiner: Sie ging bislang nur an die Beschäftigten in der Altenpflege. Die haben das Geld, auch wegen ihrer schlechten Bezahlung, natürlich verdient. Bayern und Schleswig-Holstein haben einen Bonus für alle finanziert, manche Krankenhäuser haben sich entschieden, ihren Mitarbeiter*innen freiwillig Prämien zu zahlen.

Warum hat Jens Spahn es nicht geschafft, eine deutschlandweite Regelung für alle Pflegekräfte durchzusetzen?

Wie haben vielen Patienten das Leben gerettet

Natürlich waren meine Kollegen und ich irritiert davon, dass es zwar Boni für Büromitarbeiter der Berliner Verwaltung geben soll, nicht aber für uns. Die einmalige Summe von 1500 Euro für uns 1,7 Millionen Beschäftigte würden 2,55 Milliarden bedeuten. Wie viel war nochmal übrig, um die Lufthansa zu retten?

Ärzte und Reinigungskräfte in den Krankenhäusern hätten übrigens ebenfalls einen Bonus verdient. Die haben wie wir unter der Schutzkleidung geschwitzt, haben Kopfweh, Schwindel und gerötete Haut vom stetigen Maskentragen in Kauf genommen, aufwendige Hygienevorschriften befolgt, ihren Urlaub abgesagt, sich dem Virus ausgesetzt und geholfen, dass es sich nicht weiterverbreitet.

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Einige von uns mussten wegen des Personalmangels arbeiten, obwohl sie wegen eines Corona-Kontakts privat in Quarantäne waren. Gemeinsam haben wir vielen Patienten mit schweren Verläufen das Leben gerettet.

[Weitere Folgen der Kolumne „Außer Atem“ mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Ich bin dankbar, wie gut unser Gesundheitssystem die Pandemie bewältigt. Weder die Osterfeierlichkeiten noch die Demos brachten erneute Wellen. Die Kliniken haben großartig gehaushaltet, sind mit dem Mangel an Beatmungsfiltern, Perfusorspritzen und Desinfektionsmittel geschickt umgegangen, haben in Windeseile ihre Abteilungen räumlich getrennt, Mitarbeiter*innen, die zur Risikogruppe gehörten, auf andere Stationen versetzt.

Covid-19 und seine Folgeerkrankungen werden künftig zum medizinischen Alltag dazugehören, aber wir können das meistern. Nur bei einer Welle wie in Italien sähen wir weiterhin alt aus: Die Hardware, die Beatmungsgeräte, haben wir. Von jenen, die sie bedienen können, sind nach wie vor nicht genug da.

Vielleicht sind wir Pflegekräfte einfach nicht gut genug organisiert – aber wann sollen wir das noch machen? Am Morgen nach der Nachtschicht?

Die Notfallklinik auf dem Messegelände könnte gestoppt werden, geplante Operationen finden wieder statt. Doch wenn schon Rückkehr zur Normalität, dann bitte auch für uns: Wir auf den Intensivstationen hätten gern die Personaluntergrenzen zurück, die zu Beginn der Pandemie ausgesetzt wurden.

Was die Pandemie für mich persönlich bedeutet? Ich habe meine Lebensweise verändert. Muss ich so viel billiges Fleisch essen? Ich lebe jetzt vegan. Und seit bei uns das Narkosemittel Propofol knapp wurde, denke ich oft daran, wie abhängig wir von anderen Ländern sind.

Mit dieser Folge endet meine Kolumne vorerst. Ich mache Urlaub und hoffe, die Pandemie auch.

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