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Berlin: Die Courage der kranken Kinder

Minderjährige Süchtige haben ihre Lebensgeschichten aufgeschrieben. Bei einer Benefiz-Aktion im Maxim-Gorki-Theater lasen Prominente daraus vor

Jasmins Eltern haben sich beim Drogenentzug kennen gelernt, neun Monate später kam sie auf die Welt. Hinein in ein Leben, dass von Heroin bestimmt blieb. „Heroin ist die Brücke zum Tod und ein Lebensbringer“, hat Jasmin aufgeschrieben, als sie über ihr junges Leben nachdachte. Und Beatrice, gleichfalls jung und süchtig, hat erkannt: „Mein Papa war der erste Mensch in meinem Leben, der mich schneller verließ, als er mich kennen lernte.“

Als Minh-Khai Phan-Thi und Angela Winkler diese und andere Sätze der beiden minderjährigen Mädchen am Mittwochabend vorlasen, war es ganz still im Maxim-Gorki-Theater. Mit ihnen auf der Bühne saßen ihre Schauspielerkolleginnen Esther Schweins, Anna Thalbach und Bibiana Beglau, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Claudia Roth, Sängerin Ulla Meinecke, die auch Lieder von ihrer neuen Platte vorsang, und Regisseurin Doris Dörrie. Die Benefiz-Lesung fand zugunsten der „Karuna-Hilfe für suchtgefährdete und suchtkranke Kinder und Jugendliche“ statt, die der Tagesspiegel bei seiner Spendenaktion unterstützt. Auch die Schirmherrin Christina Rau war gekommen, um an diesem Abend einmal „nicht wegzuschauen, sondern zuzuhören“.

Die Gedichte und Geschichten entstanden in der Karuna-Schreibwerkstatt „Komma- zu-Zeitdruck“, die sich als „Frühhilfeeinrichtung“ für süchtige Jugendliche versteht - vom Drogenkonsum bis zur Magersucht. Einige der jungen Autoren waren auch im Theater. Vor Beginn der Lesung standen sie im Foyer beisammen, rauchten eine Zigarette nach der anderen. Sie wollten cool wirken, obwohl sie es wahrscheinlich gar nicht waren - auf einmal so im Mittelpunkt. Gut, dass ihnen prominente Künstlerinnen an diesem Abend ihre Stimmen liehen.

Es war kein leichter Stoff, der da auf der Theaterbühne präsentiert wurde. Die Texte handelten von betrunkenen, zugedröhnten oder magersüchtigen Jugendlichen, die am äußersten, am hässlichen Rand der Gesellschaft leben – von der sie enttäuscht sind, weil die sie nicht wahrnehmen will. Darunter auch fast komische Geschichten – beispielsweise über den 16-jährigen Toblerone, der sturzbetrunken durch seine ganz eigene Welt torkelt: Erst teilt der Fahrkartenverkäufer ihm mit, dass Hamburg an diesem Tag geschlossen habe, dann stolpert er im Bahnhof über einen Löwen.

Moderatorin Juliane Hielscher freute sich über die Reaktionen des Publikums. „Wir wussten nicht, wie die Zuhörer reagieren werden, ob überhaupt geklatscht wird.“ Die Antwort war eindeutig: Das Publikum applaudierte minutenlang, als die Autoren zu den Künstlerinnen auf die Bühne kamen. Das war vor allem Anerkennung für die Courage der Jugendlichen. Und so war Karuna-Geschäftsführer Jörg Richert denn zufrieden: „Ein solcher Abend macht uns Mut.“

Juliane Schäuble

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