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Berlin: Die Dadasophin

Mine und Rose erzählen: Ein Kinderbuch entführt in die Friedenauer Atelierwohnung von Hannah Höch

Von Renate Steinchen

„Säuglingssprache, Urwaldlaut, Papageiengeschnatter“, spottete die Berliner Presse über die erste publikumswirksame DadaSoirée am 12. April 1918. Für die Dadaisten George Grozs, der dabei Gedichte rezitierte und Raoul Hausmann, der ein Dada-Manifest vortrug, war der Abend in der Berliner Sezession ein rundum gelungener öffentlicher Auftritt, gerade weil das Ganze im Publikumstumult unterging. Hausmann musste sein Dada-Manifest mitten im Satz abbrechen, weil man das Saallicht abschaltete – man befürchtete Schäden an den ausgestellten Dadabilder, die an den Saalwänden hingen. „Ein herrlicher Abend und DADAistischer Erfolg“, erinnert sich Raoul Hausmann viele Jahre später. Mitten im Saal saß die Dadasophin Hannah Höch, Hausmanns liebste Freundin.

Hannah Höch war wie Hausmann eine bedeutende Berliner Dada-Künstlerin. Neben der Haustür in der Büsingstraße 16 in Friedenau sucht man jedoch vergebens eine Gedenktafel, die daran erinnert, dass hier Hannah Höch bis zum Jahr 1926 wohnte. Die Dachwohnung der Künstlerin mit den hohen Atelierfenstern, den vielen Topfpflanzen, voll gestopft mit Hannahs Möbeln und persönlichen Erinnerungen, erwacht in einem lebendig anschaulichen und professionell gestalteten Bilderbuch über die Dada-Künstlerin zu neuem Leben und führt uns zurück in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Mit dem Bilderbuch taucht der Leser ein in die Biografie der jungen Hannah Höch. Die Figuren Mine und Rose, die beiden von Hannah Höch kunstvoll hergestellten Puppen, kramen in deren Abwesenheit im Fotokarton mit Bildern aus der Kindheit der Künstlerin. Auf unterhaltsame Weise lesen wir, dass Hannah schon als Kind in ihrer Heimatstadt Gotha aus Zeitschriften ihrer Mutter Bilder ausschnitt, im Garten Mohrrüben, Schoten und Rosen zeichnete und zum Schluss alles zu eigenen, kleinen Büchern zusammenbastelte. Auch ihren Freund Raoul Hausmann lernen wir kennen, den „Präsidenten der Sonne, des Mondes und der kleinen Erde (Innenfläche), Dadasoph, DadaRaoul, Direktor des Circus Dada“, laut Visitenkarte wohnhaft in der Charlottenburger Kantstraße 118 – ihren Liebsten, der ihr auch das „h“ am Ende ihres ns Hannah verpasste.

Hausmann gehörte wie Kurt Schwitters zum „Club Dada“, der seine Ursonate „Lanke Trr gll pe pepe pe pe Ooka ooka ooka ooka …“ vor Freunden in Hannahs Dachwohnung aufführte. Das Leben der jungen Hannah entsteht vor unseren Augen in bildkünstlerischen, narrativ-poetischen und vielfach als Collagen entworfenen Illustrationen, mit Fotos und Abbildungen von Hannah Höchs bekanntesten Kunstwerken ausgestattet.

Die Autorin Gabriele Struck zusammen mit der Illustratorin Petra Grapow-Steffens, die uns bereits vor vier Jahren in einem erfolgreichen Bilderbuch „Iwar steigt aus“ ein Bild der Berlinischen Galerie von Otto Dix „Iwar von Lücken“ vorstellten, zeigen mit diesem Bilderbuch wiederum ein bedeutendes Kapitel der Berliner Kulturgeschichte. Insbesondere Hannah Höchs wichtigste Kunstwerke, die sich im Besitz der Berlinischen Galerie befinden, betrachten wir durch das Bilderbuch mit ganz neuen Augen.

Mit dem Vorwort der Mäzenin Waldtraut Braun, die das ganze initiiert hat, wird gleichwohl an das traurige Schicksal der Kunstsammlung der Berlinischen Galerie erinnert, denn das Bilderbuch war eigentlich als Einzugsgeschenk Waldtraut Brauns für die Berlinische Galerie in ihr neues Domizil gedacht. Alle Pläne für eine neue Heimstatt haben sich bislang zerschlagen, erst vor kurzem beschloss der Senat den Einzug der Galerie in ein altes Glaslager in Kreuzberg. Bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg, wenigstens liegt nun ein gelungenes Sach-, Erzähl- und Bilderbuch über eine bedeutende Berliner Künstlerin vor.

Gabriele Struck, Petra Grapow-Steffens: Fünf Treppen zum Dach. Mine und Rose erzählen von Hannah Höch. (Herausgegeben von Waldtraut Braun). Bostelmann & Siebenhaar Verlag, Berlin 2002. 36 Seiten, 14,80 Euro

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