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Berlin: Die Doppelsängerin

Für die Doubleshow „Stars in Concert“ schlüpft Rachel Hiew sechs Mal die Woche in die Rolle von US-Star Cher Sie kopiert deren Stimme, Aussehen, Tanz. Fühlt sich die falsche schon wie die echte?

Tina Turner war mal da, die echte. Die falsche und ihre Doppelgänger-Kollegen hatten ziemlichen Bammel, sie zu treffen. Würde sie ihnen sagen, wie lächerlich sie das findet? Würde sie eifersüchtig werden auf ihr Double? Würde sie vielleicht kreischen und toben? „Sie war total nett und hat sich bedankt, dass ihre alten Hits gesungen werden“, sagt Cher, die falsche. Die echte Cher hat sie noch nicht getroffen. Sie weiß nicht genau, ob sie das überhaupt möchte. Die Ehrfurcht des Bewunderers steht zwischen ihnen, aber auch der Anspruch, eine autonome Persönlichkeit zu sein.

Die Berliner Sängerin Rachel Hiew spielt seit sieben Jahren in „Stars in Concert“ im Neuköllner Estrel-Hotel. Die „Doppelgänger-Show“ läuft seit insgesamt neun Jahren, hatte bislang rund drei Millionen Besucher, und ein Ende ist nicht in Sicht. Rachel Hiew schlüpft an sechs Abenden in der Woche in Chers Rolle. Eine gute Stunde dauert die Verwandlung, das Schminken und Anziehen, danach 20 Minuten Auftritt. Sie sehe das als eine Rolle, wie eine Schauspielerin, sagt die Frau, die halb Irin, halb Chinesin ist, und lächelt aus unbeschwerten Augen. Eine Wirkung auf ihr Verhalten, ihre Identität, eine „Cherisierung“ könne sie trotz der vielen Auftritte nicht feststellen. Dazu spielt sie noch zu viele andere Rollen, bei „Stars in Concert“ etwa Jennifer Lopez, die ihr optisch viel näher kommt als Cher. Im Sommer wird sie als Agnetha bei einem Abba-Revival auftreten. Rachel Hiew ist vielseitig, das wurde ihr schon auf der „Arts Educational School“ in London bescheinigt. Dort lernte sie tanzen, singen und das, was man auf normalen Schulen auch lernt.

Mitte der 90er Jahre kam sie nach Berlin, damals für das Musical „Shakespeare and Rock’n’Roll“. Dass sie sich später bei Stars in Concert ausgerechnet als Cher bewarb, war nüchternes Kalkül. Die Sängerin hatte damals gerade ihren Megahit „Believe“. Das war der ideale Zeitpunkt, ein Cher-Double in die Show aufzunehmen. Was Rachel von Cher wissen musste, hat sie sich auf der Bühne oder vom Video abgeguckt. Zwischen dem ersten Casting und ihrem Cher-Debüt vergingen nur zwei Wochen. Die richtige Stimmfärbung sei alleine eine Frage der Gesangstechnik, sagt Rachel. Schwieriger war die Optik, das schmale Gesicht, die lange Nase und der helle Teint. Da hat die Maskenbildnerin stundenlang herumexperimentiert. Die Frisur war wieder sehr einfach. Das Original trägt auf der Bühne Perücke. Auch die echte Cher ist ein Produkt kosmetischer Camouflage und künstlerischer Selbst-Verfremdung.

Wie reagieren Cher-Fans, wenn ein Cher-Double auf der Bühne steht? Die meisten kommen erst gar nicht, weil sie Vorbehalte haben und ein Idol eben nicht einfach kopiert werden kann. Genauso dachten die Berliner Cher-Anhänger André Dummasch, 19-jähriger Azubi, und seine Freundin Maria Geiling, 18-jährige Schülerin. Doch ihre Neugierde war größer und nach dem ersten Rachel-Cher-Erlebnis waren die beiden „schwer begeistert“. Sie gingen aufgeregt hinter die Bühne, baten um Autogramme und hatten ein bisschen das Gefühl: Wir stehen neben Cher – wow! „Die Körpersprache von Cher hat Rachel 100 Prozent drauf“, sagt Maria Geiling. Nur die originale Cher-Stimme sei noch ein Deut rauchiger. Die echte Cher haben die beiden dreimal live gesehen, ihre Doppelgängerin mehr als 30-mal. Die echte Cher kostet mindestens 50 Euro, ihr Double 15. Inzwischen sind André und Maria auch Fans von Rachel, wenn sie als Jennifer Lopez auf der Bühne steht oder als Rachel höchstselbst mit ihrer Band DiskoInferno im Quasimodo.

Eine Karriere als eigenständige Künstlerin blieb aber bisher aus. „Rachel bekommt keinen Plattenvertrag, weil sie einen festen Freund hat und zu alt ist“, sagt Produzent Kurz mit deutlichem Sarkasmus. Dass sie eine hervorragende Stimme hat, sei für Plattenfirmen eher zweitrangig. Übrigens ist Rachel 32. Cher wird im Mai 60 und hat mehrfach das Ende ihrer Karriere angekündigt. Da wird es Zeit für eine vernünftige Nachfolgeregelung. In ganz Europa gibt es kein Cher-Double, das es mit Rachel aufnehmen könnte, findet Kurz. In den USA ist die Konkurrenz viel größer. Dort nennen sich die Doubles „Impersonator“ und werden selbst zu Stars. „In Deutschland gehören Doppelgänger zur McDonald’s-Kultur oder Karaoke, in den USA ist das eine anerkannte Kunstrichtung“, sagt Kurz.

Viel Lob bekam Rachel Hiew, als ihre Londoner Familie nach Berlin kam, um sich die Show im Estrel Convention Center anzusehen. Danach waren ihre Nichten überzeugt, dass in der Cher, die sie manchmal im Fernsehen sehen, auch die Tante Rachel steckt.

„Stars in Concert“ ist jeden Abend außer dienstags im Estrel-Hotel in Neukölln zu sehen. Karten gibt es telefonisch unter der Nummer 68 31 68 31.

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