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Berlin: Die „Elektrische“ setzt ihn unter Strom

Joachim Kubig hält sich auf seinem Grundstück eine eigene, historische Straßenbahnflotte

Neulich war es wieder soweit. Erst hat Joachim Kubig eine kleine Rede gehalten, dann ein dünnes, weißes Bändchen durchgeschnitten und anschließend auf den Knopf gedrückt. Rrrrrrrrrrrr machte es und ein Straßenbahnzug der Linie 1 setzte sich in Bewegung. Er fuhr an Tomatenpflanzen und einem Erdbeerbeet vorbei, streifte mehrere Blumenrabatten und kam schließlich vor dem Depot zum Stehen. Beifall – Kubigs Frau und sein Sohn freuten sich mit dem Pensionär über die gelungene Jungfernfahrt. Schon 30 Mal gab es auf dem Grundstück an der Pritstabelstraße in Köpenick in den vergangenen Jahren dieses Schauspiel. Immer dann, wenn der ehemalige Rangiermeister „ein neues Kind geboren hatte“, wie er sagt: Einen handgefertigten, historischen Straßenbahnzug.

„An den Waggons und Triebwagen stimmt jedes Detail“, sagt der 66-Jährige stolz. Sie sind wie die großen Originale mit Lämpchen, Kurbeln, strukturiertem Fußbodenbelag, gepolsterten Sitzen, Festhaltegurten und Weichenstellern ausgestattet. Es gibt einen Fahrer, Passagiere und einen Schaffner mit winziger, detailverliebter Tasche. Joachim Kubig ist mittlerweile ein Experte im Improvisieren. Seit etwa zwölf Jahren baut er „nur zur eigenen Freude“ alte Straßenbahnen aus der Zeit zwischen 1920 und 1950 im Maßstab 1:22,5 nach.

Einige Linien steuerte er früher selbst einmal, die „86“ und die „83“ beispielsweise. Andere haben es ihm wegen der vielen Besonderheiten angetan. So war die „71“ , die einst zwischen Weißensee und Friedenau verkehrte, mit umklappbaren Rückenlehnen ausgestattet. Andere hatten prächtige Deckenbemalungen oder Mahagoniholzverzierungen. Kubig gefallen sie so, „weil jeder Wagen sein eigenes Gesicht hat“. Anhand von Fotografien und Originalbauplänen verleiht er es ihnen auch im Kleinformat. Wenn man an dem 120 Meter langen Parcours steht und sich für einen Augenblick hinhockt, ist die Täuschung perfekt.

Zurzeit gibt es in Kubigs Garten fünf Haltestellen, allerdings fehlt noch die Oberleitung. Aber das will der pensionierte Handwerker noch ausbauen.

Fasziniert hat ihn „die Elektrische“ schon als Kind. Er wollte unbedingt Straßenbahnfahrer werden. Das klappte auch, und Ende der 60er Jahre gehörte er zu den Gründern der „Kleinbahnfreunde“, einer Arbeitsgruppe, die schon damals ausgemusterte, historische Züge auf Vordermann brachte. Inzwischen wurde daraus der „Denkmalpflegeverein Nahverkehr Berlin“ mit rund 170 Mitgliedern. Noch immer werden im Schmöckwitzer Depot die großen Originale liebevoll restauriert.

Als Abwechslung empfindet Joachim Kubig seine „eigene Flotte“. Die Idee, Modelle zu bauen, kam ihm, weil es nach wie vor nur Phantasie-Straßenbahnen zu kaufen gibt. Gebastelt wird meistens im Winter: aus Pappe, Holz und Blech. Sein Sohn fertigt die Fahrgestelle. Das Malen, Kleben und Löten der Rümpfe übernimmt der Senior. Für besondere Details wird experimentiert – nach dem Motto: „Geht nicht, gibt’s nicht“.

Wenn Kubig auf seiner Strecke „Betrieb macht“ braucht er trockenes Wetter. Sonst müssten die sensiblen Fahrzeuge noch öfter zur Hauptuntersuchung. Alle fünf Jahre werden sie auseinander genommen, frisch geölt und neu bepinselt. Richtig genießen kann er die Fahrt allerdings nur, wenn ein einziger Zug rollt. Denn sonst hat er alle Hände voll zu tun, den Verkehr zu regeln und auch mal Erste Hilfe bei einer Kollision zu leisten. Steffi Bey

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