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Berlin: Die Erben-Gemeinschaft

Sie ist Zehlendorferin durch und durch. „Mein Herz schlägt hier, hier ist mein Lebensmittelpunkt“, sagt Helgard Gammert.

Sie ist Zehlendorferin durch und durch. „Mein Herz schlägt hier, hier ist mein Lebensmittelpunkt“, sagt Helgard Gammert. Ihr gehört das Bali-Kino, eine Institution, mit vielen Preisen ausgezeichnet. Sie fühlt sich aufgehoben im Bezirk. Zehlendorf, sei für sie, spontan gesagt: Bildungsbürgerschaft, wenig Arbeitslose. Die Menschen durchaus offen, liberal in der Grundhaltung. Der Zehlendorfer, sagt sie, überlegt, wo er sparen kann. Sie spricht vom Geiz der Leute, die Geld hätten. Von einer gewissen „Konsummuffigkeit“, die sich auch daran zeige, dass die Geschäfte am Teltower Damm so oft wechselten. Eine offenkundig gut situierte Frau sagte ihr kürzlich an der Kinokasse: „Was, sechs Euro? Ich will einen Film sehen, nicht das Kino kaufen.“ Zehlendorf, ist „eine Insel, eine Rückzugsinsel“. Die Palme war lange Markenzeichen des Bali, einst abgekürzte Version von Bahnhofs-Lichtspielen.

Der Anteil der Leute, die gelassen sein können, ist hier groß, sagt sie. Ein bisschen scheint es Helgard Gammert, als sei die Zeit in Zehlendorf stehen geblieben. Der Zusammenschluss mit Steglitz – nicht wirklich vollzogen. Ihre Kinder leben dort – sie sagt das, als wäre Steglitz sehr, sehr weit weg. Die Schloßstraße? „Mag ich überhaupt nicht, ein Schlag zu viel“. Die Zehlendorfer, sagt sie, fühlten sich überlegen, und doch irgendwie von Steglitz dominiert. Ist das auch wieder typisch Zehlendorf? Sie liebt den Teltower Damm – zwischen Potsdamer Straße/Clayallee und S-Bahnhof. Sie liebt die kleineren Seen, die Krumme Lanke, den Schlachtensee. Vor allem aber den Mexikoplatz. Nach jedem Urlaub fährt sie dorthin, setzt sich auf die Bank. „Der Platz hat was.“ Als sie vor Jahrzehnten nach Zehlendorf kam, spürte sie Aufbruchstimmung. Da gab es noch die links-liberaleWählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB), die das gewohnte Parteiengefüge eine Zeit lang durcheinanderbrachte. Helgard Gammert selbst fühlt sich „weltanschaulich frei“. Will eine Partei für eine Veranstaltung ihr Kino mieten, sagt sie nein. Politisch spürt sie im Bezirk Stillstand. Kulturell gebe es viele private Aktivitäten, leider nicht vernetzt.

Schlimm findet es die 62-Jährige, dass dem Bezirk die jungen Leute weglaufen. Als sie vor vielen Jahren das Kino übernommen habe, konnte sie vor vollem Haus noch viel mehr Kinder- und Jugendfilme zeigen. „Aber nach dem Abi gehen die Kinder weg. Mitte zieht, das wäre mir als Jugendlicher aber auch so gegangen.“ Mit 35, 40 überlegten die „Kinder“ dann, ob sie wiederkommen sollten, ob sie sich Zehlendorf leisten könnten.

„Übrig bleiben Leute, die Häuser geerbt haben.“ Der Bezirk, sagt Helgard Gammert, wirkt relativ satt und heil. Aber die Jugend gehöre nicht auf eine Insel, die müsse was bewegen. Zehlendorf habe das Problem, dass abends nicht viel los sei. „Ich bin abends die Letzte, die hier am Teltower Damm rumläuft.“ Klar, am Wochenende geht der Zehlendorfer „in die Stadt“.

Christian van Lessen

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