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Berlin: Die Familie sollte dem Elend entrinnen

Michaela M. zitterte am ganzen Körper.

Michaela M. zitterte am ganzen Körper. Mit rotgeweintem Gesicht stand die zierliche Frau im Gerichtssaal. Sie hat ihren Ehemann getötet und wollte auch ihre drei Kinder mit ins Jenseits nehmen, wenige Stunden vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung in Friedenau - als die Scheinwelt, die sie sich aufgebaut hatte, endgültig zusammengebrochen war. Wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen verhängte das Landgericht gestern eine Strafe von viereinhalb Jahren Haft und ordnete zugleich die Unterbringung der Frau in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Die Angeklagte sei geständig, reuig und zutiefst erschüttert über das, was sie tat, sagte Richterin Gabriele Strobel. Sie sei durch ihr Tun viel schwerer gestraft, als ein Gericht mit einer Strafe erreichen könnte. Als die Polizei Michaela M. am Morgen des 2. August vergangenen Jahres fand, saß sie mit einem Kuscheltier der Töchter in ihrem Auto. Da wußte sie, dass sie alles zerstört war. Sie hatte ihrem Mann und den Töchtern im Alter zwischen 9 und 15 Jahren einen Medikamenten-Mix verabreicht, eine verzweifelte Reaktion auf die dramatische finanzielle Lage, die sie vor der Familie lange Zeit geheim gehalten hatte. Fast 30 000 Mark Mietschulden hatten sich angehäuft.

Die Frau leide unter schweren Depressionen und sei bei der Tat vermindert schuldfähig gewesen, hieß es im Urteil. In ihrer krankhaften Sicht sei sie auf den Gedanken gekommen, sich und ihre Familie zu töten. Der 40-jährige Hausmeister Manfred M. und die Kinder schliefen zwar nach den Tabletten ein, aber sie starben nicht. Weil Michaela M. davon überzeugt war, dass sie ihrer Familie etwas Gutes tue, ihr Obdachlosigkeit und Elend erspare, habe sie Rasierklingen geholt.

Die Schnitte an den Handgelenken seien oberflächlich gewesen, sagte die Richterin. Als Michaela M. merkte, dass ihr Mann daran nicht sterben würde, habe sie ein Kissen genommen und ihm aufs Gesicht gedrückt. Er erstickte schließlich an Erbrochenem. Als eines der Mädchen bei einem Schnitt erwachte und aufstöhnte, sei die Angeklagte "aus ihrem inneren Albtraum der Ausweglosigkeit erwacht". Die Mutter fuhr zu ihrem Bruder und beichtete ihm die Tat. Er alarmierte die Polizei über den Notruf. Die Kinder konnten gerettet werden. Aus Sicht des Gerichts trat die Angeklagte vom Versuch des Totschlags an den Kindern zurück.

Man müsse akzeptieren, dass die Wurzeln des Dramas in der Persönlichkeit der Angeklagten und einer bestimmten Familienkonstellation liegen, sagte die Richterin. Michaela M., eine Frau mit geringem Selbstwertgefühl, habe sich stark auf die Kinder fixiert. Sie wollte ihnen jeden Wunsch erfüllen, wollte eine perfekte Mutter sein. Ihren Ehemann, der Mitte der 90-er Jahre erkrankte, habe sie von allen Unannehmlichkeiten verschonen wollen. Michaela M. sei völlig überfordert gewesen und habe die Katastrophe trotz Hilfsangeboten des Sozialamtes auf sich zurollen lassen.

Kerstin Gehrke

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