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Berlin: Die Filmverführer

Wie die Betreiber kleinerer Kinos mit speziellen Angeboten Kunden und Freunde gewinnen

Die Kinosessel sind weg. Helgard Gammert hat sie letzte Woche an ihre Besucher verschenkt. Einzige Bedingung: Bringt einen 17-er Schlüssel mit, um die guten Stücke loszuschrauben. Eine Stunde hat es gedauert, dann war alles weg. Die Sessel mussten raus, damit diese Woche die neuen Sitze eingebaut werden können. Denn im Bali-Kino in Zehlendorf wird gerade alles neu gemacht. Auf dem Fußboden ist neues Linoleum verlegt worden, „dunkel, mit einem Rotstich“, sagt Helgard Gammert. Als einige Abholer sie gefragt haben, ob sie ihren alten roten Sesseln hinterhertrauert, die jahrzehntelang am Teltower Damm 33 gute Dienste leisteten, hat sie lachend abgewinkt. „Die Ära dieser Sessel ist für mich vorbei.“ Jetzt kommt etwas Neues. Kino ist für die 60-jährige Betreiberin ein Stück Leben, und das Leben geht eben weiter. Neben Filmvorführungen gibt es in ihrem Kinosaal Tangoabende, Theaterstücke, Lesungen, Jazz, Konzerte und für das jüngere Publikum Film- und Musiknächte. Am Freitag eröffnet das renovierte Kino wieder, ab halb neun gibt es zum Film ein Gläschen Sekt.

Wie Helgard Gammert versuchen quer durch Berlin Kinobetreiber, Kunden mit besonderen Angeboten in ihre Spielhäuser zu locken. Denn das Berliner Kinopflaster ist dicht besetzt. Laut dem Kulturwirtschaftlichen Bericht der Senatsverwaltung ist die Kinodichte in Berlin so hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt. 2002 listete die Filmförderanstalt 97 Kinos, davon 84 traditionelle Spielstätten und 13 Multiplexkinos. Ein gewisses Extra bietet sich da an, um aus der Masse herauszustechen.

So spielt das Cinema Paris am Kurfürstendamm vor allem französische Produktionen und richtet dazu auch manche Premierenfeier aus. Seit einigen Jahren zeigen immer mehr Kinos Filme in Originalversion, sei es mit Untertitel wie im Odeon in der Schöneberger Hauptstraße oder ohne, wie im Cinestar original am Sonycenter.

Seit April 2004 ist Gabriel Hageni Geschäftsführer im Krokodil und zeigt in der Greifenhagener Straße 32 nur russische Filme. Dass das Liebhaberprojekt läuft, wundert ihn manchmal selbst. Denn oft muss er um eine Filmkopie zäh verhandeln, da es sich für die Verleiher eigentlich nicht lohnt, deutschlandweit die einzige Kopie des Films mit deutschem Untertitel in einem Kino zu spielen, in dem nur 72 Besucher Platz haben. Doch immer wieder lassen sich die Verleiher überreden, manchmal bringen auch Regisseure einfach den eigenen Film mit, wenn sie die Rechte daran besitzen. Weil russische Filmkopien mit deutschem Untertitel weiterhin Mangelware sind, möchte Gabriel Hageni gerne in Zukunft selbst Untertitel herstellen. Genügend Freiwillige, um die Texte aufzuschreiben, hat er schon.

Andreas Wieske spielt seit zehn Jahren im Xenon in der Schöneberger Kolonnenstraße vor allem lesbisch-schwule Filme. „Es gibt Leute, die sich jeden Neustart bei mir ansehen“, sagt er. Rund zehn Filme im Jahr bekommt nur er in Berlin, manchmal kommt der Regisseur dazu und gestaltet den Abend mit. Daneben hält er in seinem Haus auch die Tradition eines Stadtteilkinos. Wenn sich mehrere Besucher einen Film wünschen – zuletzt war es Rythm is it! – besorgt er ihn. Sein Wunsch: das hundertjährige Jubiläum das Ladenkinos erleben, das seit 1909 in Betrieb ist.

In der 2002er Statistik taucht auch Knut Beulich gar nicht auf. Der Regisseur hat 2003 mit dem Dokument-Kino in der Rungestraße 20 ein Haus eröffnet, das ausschließlich Dokumentarfilme zeigt. Dem Europäischen Dokumentarfilm-Netzwerk zufolge ist das einzigartig in Europa. „Zu mir kommen viele Menschen, die sonst nicht ins Kino gehen“, sagt der 37-Jährige. Knut Beulich macht alles allein: Karten verkaufen, den Film anwerfen, hinterher mit den Besuchern einen Plausch halten. Der direkte Kontakt zum Publikum ist ihm wichtig. „Dokumentarfilme laufen meist im Fernsehen, da weiß man gar nicht, was die Menschen darüber denken“, sagt er. Gerade ist sein Spielhaus in der Sommerpause, im September macht er wieder auf – dank des Kinoprogrammpreises, den das Büro der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien ihm gestern zugesagt hat.

Helgard Gammert (60) betreibt das Bali-Kino am Teltower Damm in Zehlendorf. Neben Filmvorführungen organisiert sie auch Lesungen, Tanzabende und Theatervorführungen.

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