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Berlin: Die Frage Schwarz-Grün stellt sich nicht

Berlins Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann hält trotz der Koalitionskrise im Bund am Wunschpartner SPD fest – er sieht keine Alternative

Herr Ratzmann, ist RotGrün ein Auslaufmodell?

Nein, Rot-Grün ist kein Auslaufmodell. Koalitionen sind immer Zweckbündnisse. Aber wir müssen das Modell weiterentwickeln, nur dann geht es. Das heißt aber auch, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen und nach sieben Jahren schauen: Was haben wir erreicht, und wo lagen die Fehler? Das wird aber auch einiges durcheinander wirbeln. Es bleibt noch viel für uns zu tun, ob als Regierung oder in der Opposition. Was rauskommt, wenn zum Beispiel eine Gesundheitsreform von SPD und CDU gemacht wird, haben wir ja gesehen – alles zu Lasten der Patienten, die Pharmaindustrie kam ungeschoren davon.

Tritt jetzt eine ganze Generation von Grünen-Politikern ab?

Wir brauchen gerade diejenigen noch wie zum Beispiel Renate Künast, die grüne Identität und nicht nur Machterhalt verkörpern. Neben ihnen muss aber genug Platz sein, damit Jüngere sich entwickeln und Einfluss gewinnen können. Da gibt es viel kreatives Potenzial.

Die Grünen wirken so, als ob sie unter Schockstarre stünden und noch nicht realisiert hätten, welcher Umbruch ansteht. Sie spulen die gewohnten Politikmuster ab.

Das Gegenteil ist der Fall. Es wird diskutiert und hinterfragt wie schon lange nicht mehr. Und es geht um die entscheidenden politischen Fragen: Wie stellen wir im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit her, sichern Demokratie, sichern allen die Chance, sich zu entwickeln? Dazu brauchen wir qualifiziertes Wachstum, das Arbeit schafft und nicht nur die Kassen der Konzerne füllt. Dafür wollen wir die kreativen Köpfe der Republik mobilisieren und sie einladen mitzuarbeiten.

Was kritisieren Sie an der Regierungsbeteiligung?

Wir haben große Reformen angeschoben und sie in die richtigen Bahnen gelenkt. Es ist uns aber vielfach nicht gelungen, das Ziel deutlich zu machen und Vertrauen für die Konzepte zu erwecken. Die Reform der Sozialsysteme ist eine gesellschaftliche Umwälzung. Das kann man nicht verordnen und in einer Legislatur umsetzen. Das hat zu handwerklichen Fehlern und Ungerechtigkeiten geführt. Die Anrechnung des Partnereinkommens bei Hartz IV ist ein Beispiel. Das trifft besonders die Frauen im Osten. Menschen brauchen soziale Sicherheit, wenn sie sich bewegen sollen. Das muss weiterentwickelt und verändert werden.

Christian Ströbele fordert ein linkeres Profil seiner Partei. Sind Politiker wie er aussterbende Exoten bei den Grünen?

Ganz und gar nicht. Er verkörpert grüne Identität, er steht für einen essenziellen Bestandteil grüner Programmatik, für Freiheit und Bürgerrechte. Ohne ihn sähe die Republik nach dem 11. September anders aus. Er braucht viele Mitstreiter.

Wofür stehen die Grünen außer der verbreiteten Identifikation mit Einführung des Dosenpfands, Gleichstellung schwullesbischer Partnerschaften und ihrer Anti-Atomkraft-Position?

Wir stehen dafür, das gesellschaftliche Bewusstsein entscheidend mit verändert zu haben, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern: Generationengerechtigkeit, Zukunftsorientierung, soziale Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Mit einem Wort: für nachhaltige Politik. Dafür, dass jeder eine Chance haben muss, sein Leben in die Hand zu nehmen, dafür, dass Umweltschutz Arbeitsplätze schafft, und dafür, dass wir solide Staatsfinanzen brauchen.

Angenommen, Rot-Grün wird im September abgewählt, gibt es auf Bundes- und Landesebene keinen einzigen Grünen-Politiker mehr in Regierungsverantwortung. Was bedeutet das für die Berliner Grünen?

Das ist eine große Herausforderung. Wir wollen grüne Regierungsverantwortung, und wir kämpfen dafür in Bund und Land.

Warum sollen die Berliner grün wählen?

Weil wir auch die schwierigen Themen in die Hand nehmen: die Stärkung der Berliner Wirtschaftskraft, die Zukunft der Landesbetriebe, die Rolle Berlins als Hauptstadt. Das haben wir mit der Enquete-Kommission bewiesen.

Was die Landesbetriebe betrifft, steuern die Grünen einen harten Privatisierungskurs, der auch parteiintern als neoliberal kritisiert wurde.

Wir wollen die beste Form, um das beste Versorgungsangebot zu haben, von der Wasserversorgung bis zum Nahverkehr und dabei verantwortungsvoll mit den Mitarbeitern umgehen. Wo die Berliner Betriebe mit der jetzigen Form stehen, sehen wir ja. Das muss man unideologisch diskutieren.

Wie sieht das grüne Konzept konkret aus?

Das Bildungssystem auf Trab bringen, den Wissenschaftsstandort gerade im Gesundheitsbereich ausbauen, um Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze zu schaffen, endlich die Integration anpacken.

Die Integration ist angesichts der Probleme in Berlin bekanntlich an ihre Grenzen gestoßen.

Wir reden immer nur über Probleme, ohne die Chancen zu sehen, die in der Vielfalt liegen. 440 000 Menschen aus 190 Nationen leben in Berlin. Das ist ein riesiges Potenzial. Wir sind die türkischste Stadt Europas. Das müssen wir nutzen. Wir sind die Einwanderungsstadt in Deutschland, und das ist eine Herausforderung.

Die grüne Bundesspitze denkt über Abgrenzungen zur SPD nach. Ihr Wunschpartner nach der Abgeordnetenhauswahl 2006 ist zwar die SPD. Überlegen Sie nicht Alternativen wie eine schwarz-grüne Option?

Nein. Wir arbeiten mit der Partei zusammen, mit der wir inhaltliche Übereinstimung erzielen können. Ich sehe nicht, wie man derzeit mit der Berliner CDU die Probleme der Stadt lösen könnte. Die Wahl von Ingo Schmitt zum neuen Landesvorsitzenden läutet das Zurück zur Spendierpartei à la Landowsky ohne Konsolidierungskurs ein. Aber mit alten Konzepten setzt die CDU nicht weniger als die Zukunft Berlins aufs Spiel. Die Christdemokraten haben Berlin schon einmal an den Rand des Bankrotts gewirtschaftet.

Das sieht aber Ihr Parteifreund Wolfgang Wieland anders, der eine schwarz-grüne Koalition nicht ausschließt. Steht Wieland mit seiner Position allein da?

Jeder hat das Recht auf seine Lieblingsidee. Aber dafür gibt es im Landesverband keine Mehrheit. Und die Frage stellt sich auch nicht. Wir werden hier in Berlin unsere erfolgreiche Oppositonsarbeit gegen Rot-Rot weiterführen – bis zur Abgeordnetenhauswahl 2006.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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