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Berlin: Die Gedächtniskirche, ein Skandal

Eine Schau würdigt Architekt Eiermann, der einst einen Kulturkampf entfachte

Beim Anblick der Gedächtniskirche fiel Egon Eiermann wenig Schmeichelhaftes ein: „ein Steinhaufen, ein fauler Zahn“. Der Architekt wollte die Ruine auf dem Breitscheidplatz für seine Kirchen-Neubauplanung abreißen lassen. Damit machte er sich sehr unbeliebt. Die öffentliche Empörung ließ sich kaum bremsen. Um die Kriegsruine, das Wahrzeichen, wurde gekämpft. Eiermann hatte es vor fast 50 Jahren nicht leicht in Berlin.

Als er Anfang 1958 den zweiten Entwurf vorlegte, war die Ruine gerettet. Und so steht sie bis heute zwischen den Kircheneubauten. An das Lebenswerk des 1970 verstorbenen Karlsruher Architekten, der unter anderem das einstige Bundestagshochhaus „Langer Eugen“ in Bonn errichtete, informiert ab heute Abend eine Ausstellung im Bauhaus-Archiv in Tiergarten.

Aber gerade mit dem Gedächtniskirchen-Projekt erregte Eiermann weit über Berlins Grenzen Aufmerksamkeit. Es ging um ein Wahrzeichen. Seit Anfang der 50er Jahre hatten Politiker, Bau- und Kirchenleute um die Ruine gestritten. Die einen wollten sie abreißen und eine „Scheußlichkeit nicht künstlich wieder zum Leben zu erwecken“. Andere wollten sie wieder so aufbauen, wie sie vor dem Krieg war. Wieder andere traten dafür ein, die Überreste dieser Kirche zur „schönsten Ruine Berlins“ zu machen und in ihrem Inneren eine kleine Kapelle einzurichten.

Auch gab es Pläne, die Kirche ganz woanders aufzubauen, zumal auch das Hansaviertel neu entstehen sollte. Das Kuratorium der Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aber beschloss 1955, die Kirche an alter Stelle wiederaufzubauen und darüber mit dem Senat zu verhandeln. In der Bauverwaltung befürwortete man dagegen einen Springbrunnen auf dem Breitscheidplatz. Er passe besser zum (damaligen) Kreisverkehr. In Zeitungsumfragen forderten 48 Prozent der Leser, die Ruine aufzubauen, erstaunliche 44 Prozent waren allerdings für den Abriss, acht Prozent wollten die Ruine als Mahnmal erhalten. Bausenator Rolf Schwedler (SPD) gehörte zu den Gegnern dieser Kirche, er wollte sie abreißen lassen.

Es folgte die Senatsentscheidung, die Kirche unter Berücksichtigung der „Gesamtplanung Breitscheidplatz“ wiederaufzubauen. Es liege jetzt an den Architekten, ob der Turm auf seinem Platz bleibe und wo das Kirchenschiff entstehe, sagte Schwedler. Das gab wieder reichlich Gesprächsstoff: Die Stadt diskutiere, „mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand“, stellten Abgeordnete fest. Erinnert wurde immer wieder an die Geschichte der Kirche, die ursprünglich auf dem Wittenbergplatz errichtet werden sollte, dann aber doch auf dem damaligen Auguste-Victoria-Platz entstand und 1895 eingeweiht wurde. Errichtet nach Plänen des Kölners Franz Heinrich Schwechten. Der berühmte Architekt Walter Gropius sprach sich gegen einen Wiederaufbau an alter Stelle aus, die Kirche stehe falsch, sei vom „verkehrstechnischen Standpunkt unmöglich“, sagte er, sein Worte hatten Gewicht, und die Chancen für die Ruine standen schlecht. Im März 1957 gewann Egon Eiermann den Architektenwettbewerb. Sein Entwurf erschreckte Hunderttausende in der Stadt: Im Modell sahen sie ein neues Kirchenschiff, eine rechteckige Halle mit neuem Turm. Vom alten war nichts zu sehen.

In Leserbriefen wurde daraufhin an die Abrisswut der Ost-Berliner Behörden, an den Umgang mit dem Schloss erinnert. Die Gedächtniskirche, unbeschädigt einst als „stillos“ verschrien, wurde zur„schönsten Ruine“ ernannt. Eiermann und der Senat gerieten in die Defensive. Der Architekt sprach von drei Möglichkeiten: Den Turm stehen lassen und in seinem Schatten eine kleine Kirche bauen, den Turm abreißen und eine neue Kirche errichten – oder den Turm stehen lassen und die Kirche ganz woanders bauen. Die Schlagzeilen dieser Zeit lauteten: „Der Turm bröckelt, der Turm wackelt“. Der Tagesspiegel veranstaltete eine Umfrage, bei der sich über 90 Prozent der Leser für die Erhaltung der Turmruine aussprachen. „Der Turm bleibt“, beschloss die Kirchenstiftung. Eiermann kündigte einen neuen Entwurf an. Und als er den vorlegte, waren die neuen Kirchengebäude kleiner geworden – die Ruine hatte ihren Platz behalten. Die Stadt war besänftigt, das Wahrzeichen gerettet.

„Egon Eiermann (1904 - 1970). Die Kontinuität der Moderne“, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis zum 16. Mai 2005, tägl. außer dienstags 10 bis 17 Uhr, Eintritt sechs Euro, ermäßigt drei Euro. Weitere Infos unter www.bauhaus.de

Christian van Lessen

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