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Berlin: Die gefühlte Sicherheit liegt bei sonnigen 27 Grad

Im Stadtbild ist der 11. September noch nicht vergangen: Die amerikanische Botschaft gleicht einer Festung, vor der Synagoge patrouilliert schwer bewaffnet die Polizei

Von Thomas Loy

Die Sicherheitslage ist angespannt, heißt es. 530 Gebäude werden intensiv überwacht. Berlin probt den ersten Jahrestag des 11. September. Es treten auf: sehr viele Statisten – als Touristen, als Berufspendler, als Müßiggänger, als Einkäufer. Und eine unbekannte Zahl von Sicherheitskräften, womöglich in Zivil. Etwa als Touristen verkleidet.

Der 11. September hat die Sicherheitslage der Stadt dauerhaft verändert, sagt Innensenator Körting. Am besten lässt sich das an der US-amerikanischen Botschaft in Mitte ablesen. Die großflächigen Straßensperrungen bilden einen Fremdkörper im Organismus der Stadt, eine No-go-Area. Nichts deutet darauf hin, dass der Fremdkörper bald verschwinden wird. „Vielleicht bis 2006?“ fragt ein Polizist grinsend sein inneres Orakel. Nein, sie wissen nicht, wie lange noch. Und deswegen haben sie sich eingerichtet. Es gibt einen schönen Bürocontainer zum Ausruhen, Gitter, Stacheldraht und mit Sand gefüllte Becken, aus denen die ersten Bäume sprießen. Zu den Linden hin liegt die offizielle Einfahrt ins Sperrgebiet. Den Checkpoint-Charlie des 21. Jahrhunderts dürfen nur Anwohner, Lieferdienste und Angehörige der Botschaft passieren. Das Café Windhorst neben der Botschaft, dessen Besucher monatelang nur nach eingehender Passkontrolle und Taschencheck durchgelassen wurden, liegt inzwischen außerhalb des Sperrgürtels – eine kleine Lockerung zugunsten der Kneipenkultur.

Der 11. September hat das Stadtbild mit einem neuen Möbel bereichert: dem rot-weißen Metallgitter. Bisher signalisierte es dem Beobachter einen vorübergehenden Ausnahmezustand, eine Demo oder ein Straßenfest. Seit dem 11. September ist das Gitter dagegen ein Symbol für eine neue Form der Unsicherheit. Es macht auf Orte aufmerksam, an denen jederzeit brutale Gewalt in den ruhigen Alltag einbrechen kann. An der Britischen Botschaft hinter dem Adlon-Hotel wurde das Gitter bis zur Mitte des Bürgersteigs zurückverlagert. Drei Polizisten patroullieren. Richtig gefährlich sieht es an der Synagoge Oranienburger Straße aus. Sechs Beamte, bewehrt mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen, überwachen den Bürgersteig. Die Stiftung Neue Synagoge hat ihre Werbung bereits auf das Format der Absperrgitter zurecht geschnitten. Dennoch bleiben viele Besucher weg. An der Israelischen Botschaft in Schmargendorf ist die Drohkulisse schwächer. Trotz der flanierenden Polizisten und den Personenschützern bietet die Anlage ein friedliches Bild. Die Tennisplätze gleich gegenüber werden bespielt. Junge Frauen schieben Kinderwagen an der Mauer des Botschaftsgeländes entlang. Der 11. September scheint weit weg. Auch am Flughafen Tegel fürchtet offenbar niemand um sein Wohlergehen. Drei Polizisten kreisen durch das Abfertigungsgebäude. Die Besucherterasse steht nach kurzer Taschen- und Metalldetektor-Kontrolle jedem offen. Die Geländer sind so niedrig, dass ein James-Bond-Double ohne Mühe drüberspringen könnte, auf das Vordach der Außenanlagen und von dort weiter aufs Rollfeld. Gegen die Phantasie eines Attentäters ist ohnehin jede Sicherheitsvorkehrung machtlos.

Von einer angespannten Sicherheitslage war Dienstag noch nichts zu spüren. Auf den Straßen waren nicht mehr Polizisten unterwegs. Am Verteidigungsministerium und an den Botschaften an der Klingelhöferstraße ebenfalls keine Anzeichen von Extra-Bewachung. Der Mensch ist ein Meister der Verdrängung und die gefühlte Sicherheit erreichte wieder sonnige 27 Grad.

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