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Berlin: Die Gene sind schuld

Eine Berliner Firma bietet jetzt Tests an, die verraten, wie der Körper auf Medikamente reagiert. Denn das ist unterschiedlich. Entscheidend ist ein Leber-Enzym namens P450-2D6

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten befragt man gern Arzt oder Apotheker. Dumm nur, wenn beide ahnungslos sind. Denn es kommt recht häufig vor, dass ein Mittel gar nicht wirken kann. Schuld könnten dann die Gene sein. Denn über spezielle Eiweißstoffe, Enzyme also, regulieren manche von ihnen, ob und wie Medikamente im Körper wirken.

Und das ist gesundheitlich durchaus relevant. In Deutschland gehen Fachleute seit einer Hochrechnung des Bremer Pharmakologen Peter Schönhöfer davon aus, dass jährlich bis zu 16 000 Patienten an unerwünschten Arzneiwirkungen sterben. Und: 20 bis 50 Prozent der Patienten, die mit Betablockern, Antidepressiva oder Cholesterin-Senkern behandelt werden, zeigen „keine oder nur unzureichende therapeutische Effekte“, sagt der Pharmakologe Michel Eichelbaum von der Uni-Klinik Tübingen.

Einer der Schuldigen trägt den sperrigen Namen P450-2D6. Das ist ein Leber-Enzym. Es baut etwa ein Viertel aller bei uns üblichen Medikamente ab, das heißt: Es verändert die im Blut gelösten Wirkstoffe so, dass der Körper sie mit Urin oder Stuhl ausscheiden kann. So bestimmt das Enzym entscheidend mit, wie lange Arzneien im Blut bleiben – also wirken. Über P450-2D6 werden vor allem Psychopharmaka verstoffwechselt, zum Beispiel eine Reihe von Antidepressiva, außerdem Mittel gegen Alzheimer sowie Blutdruck senkende Mittel. Allerdings kommt der Eiweißstoff in mehr als fünfzig verschiedenen Varianten vor. Was bedeutet, dass Körper, je nach Ausprägung des Enzyms, ganz unterschiedlich mit Medikamenten umgehen: Je nachdem werden Arzneien schneller abgebaut oder langsamer.

Etwa 60 Prozent der Mitteleuropäer sind „normale Umwandler“ (Metabolisierer) – auf sie sind übliche Dosierungen zugeschnitten. Etwa 30 Prozent gehören zu den „mittelschwachen Umwandlern“, die mit geringeren Arzneigaben auskämen, weil Wirkstoffe bei ihnen länger im Blut und somit wirksam bleiben. Fünf bis zehn Prozent der Mitteleuropäer bilden die Gruppe der „schwachen Umwandler“, die einen großen Teil der gängigen Arzneien nicht oder nur sehr langsam abbauen können, weil ihnen das Enzym P450-2D6 schlichtweg fehlt. Allein in Deutschland sind das vier, manche Experten schätzen sogar acht Millionen Menschen. Ihnen droht extreme Überdosierung, sagt Professor Ivar Roots, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Berliner Charité. Auf etwas andere Weise könnte das Fehlen des Enzyms zum Beispiel Patienten gefährlich werden, die Tamoxifen einnehmen, ein Mittel, das Brust-Tumoren am Wachsen hindern soll. Bei diesem Medikament bildet sich erst durch den Abbau in der Leber jenes aktive Stoffwechselprodukt, das die Geschwulst beeinflusst. Doch davon entsteht viel weniger, wenn das Enzym P450-2D6 nicht vorhanden ist. Dann ist die Patientin eine so genannte Non-Responderin: Sie reagiert nicht, „und die Therapie geht ins Leere, was natürlich lebensgefährlich sein kann“, sagt Roots.

Ein Sonderfall sind schließlich die „ultraschnellen Umwandler“, die zwei bis drei Prozent der Mitteleuropäer ausmachen: Sie bauen bei bestimmten Medikamenten gar keinen Wirkspiegel im Blut auf – die Arzneien verpuffen sozusagen. „Das ist letztlich der kritischste Fall, weil man eine Überdosierung irgendwie erkennt, die Unterdosierung in aller Regel nicht“, sagt Roots. Welcher Typ des Enzyms aber im Körper wirkt, wissen in der Regel weder Ärzte noch Patienten.

Seit kurzem jedoch sind Gentests verfügbar, mit denen sich zumindest Anhaltspunkte dafür gewinnen lassen, wie ein Mensch auf eine Vielzahl von Medikamenten reagiert. Gerade hat das Pharma-Unternehmen Roche Diagnostics einen Bio-Chip entwickelt, der im Labor die Aktivität des Leberenzyms P450-2D6 und eines weiteren namens P450-2C19 bestimmen kann. Sowohl die Berliner Charité als auch die Uniklinik Göttingen setzen den Chip bereits ein; der Patient muss dafür allerdings bis zu 500 Euro zahlen.

Aber auch in Berlin gibt es seit kurzem mit „Cenimed“ – dem „Center for individualized medicine“ – ein Unternehmen, das Gentests anbietet. Cenimed ist eine so genannte Ausgründung und zwar aus der Charité. Der dort angebotene Test funktioniert ähnlich wie auch der des Freiburger Labors „Awenydd“, beide bieten ihn zum Netto-Preis von 200 Euro an. Mit diesem Test lassen sich sogar fünf maßgebliche Leber-Enzyme auf ihre Ausprägung hin untersuchen. Diese fünf seien „verantwortlich für den Abbau von 40 Prozent der Arzneimittel auf der Liste der knapp 2500 in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe“, sagt der Freiburger Spezialist Lee Griffith. Allerdings übernehmen die Kassen die Kosten bisher nicht – obwohl die vorhandenen Test-Methoden „völlig verlässlich und ausgereift“ sind, wie der Pharmakologe Ivar Roots sagt, der auch zum wissenschaftlichen Direktor von „Cenimed“ berufen wurde.

Robert Spork vom AOK-Bundesverband in Bonn gibt diesen Experten teilweise recht. Er hält die Pharmakogenetik, also das Zusammenspiel von Erbanlagen und Arzneien, für eine „ganz spannende Wissenschaft, bei der viel im Kommen ist“. Allerdings müsse für eine Kostenübernahme sichergestellt sein, dass ein Gentest eine klinisch relevante Aussage liefert. Tests auf Leberenzyme lieferten aber „allenfalls Anhaltspunkte“, weil der Abbau von Medikamenten zum Teil auch in Blut, Darm oder Lunge stattfinde. „Man darf nicht nur die Leber betrachten, das wäre zu einfach“, sagt Spork.

Wenn sich allerdings mit den Tests – wie von den Anbietern behauptet – die Behandlungskosten senken ließen, wäre das auch im Interesse der Versicherten. Denn teure Umwege über schlecht oder gar nicht helfende Medikamente blieben oft erspart.

Aber auch wenn die Krankenkassen die Tests wegen fehlender Studien noch nicht bezahlen wollen – eines zumindest könnte umgehend geschehen, findet der Internist Joachim Bauer von der Uni-Klinik Freiburg: Er würde die Pharmahersteller gerne dazu verpflichten, auf Beipackzetteln oder zumindest in der so genannten Roten Liste der gängigen Wirkstoffe anzugeben, „über welches der P450-Enzyme der Abbau erfolgt und um welchen Faktor die Dosis zu reduzieren ist, falls eine Veranlagung für schwache Entgiftung vorliegt“.

Dann bliebe allerdings noch zu hoffen, dass der verschreibende Arzt mit diesem Wissen verantwortlich umgehen kann – wie überhaupt mit Medikamenten. Für Robert Spork vom AOK-Bundesverband stellt sich da noch eine andere Frage: „Wird überhaupt das richtige Medikament gegeben oder richtet sich der Arzt in erster Linie nach dem Pharmavertreter?“

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