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Berlin: Die Genuss-Offensive

Eine Lifestyle-Expertin sagt: Lebenslust macht schlank – und nennt Unterschiede zwischen Frauen aus Paris, New York und Berlin

Sie hat Kleidergröße 36. Höchstens. Und gleich zu Beginn der Cocktail-Party in den Galeries Lafayette verrät die Französin eines „der wichtigsten Geheimnisse, um für immer schlank zu bleiben: Sie fangen den Abend richtig an – und zwar mit Champagner.“

Es gab eine Phase, da hätte in Berlin eine solche Bemerkung wie eine Botschaft vom anderen Stern geklungen. Berlinerinnen galten im Kontrast zu ihren Geschlechtsgenossinnen in New York und Paris lange als bescheiden, was Lebensstil und Kleidung betraf. Eher Bier als Wein trinkend und bestenfalls schrill gekleidet nach Kreuzberger Art, ansonsten vor allem praktisch. Wo Jeans und Pulli auch für die Oper reichen, muss man sich den Schrank ja nicht unbedingt mit teuren Kleidern vollstopfen.

Das hat sich schon nach dem Fall der Mauer geändert, besonders aber nach der Jahrtausendwende. Allerdings sind es immer wieder Besucher von außen, die das bewusst wahrnehmen, wie zum Beispiel die Lifestyle-Expertin Mireille Guiliano, die eigentlich gekommen ist, um ihr Buch „Warum französische Frauen nicht dick werden. Lebenslust macht schlank“ vorzustellen. Darin wirbt sie für maßvollen, aber intensiven Lebensgenuss, der besser als alle Diäten hilft, auch mit der Taillenoptik zu punkten. Die französische Top-Managerin, die unter anderem als Sprecherin von Veuve Clicquot in den USA Karriere gemacht hat, pendelt zwischen drei Kontinenten, spricht unter anderem fließend Deutsch und nimmt die kulturellen Unterschiede sehr bewusst wahr.

Konfrontiert mit der These, dass der Schick der Berlinerin eher abfällt im Vergleich zur Pariserin oder New Yorkerin, guckt sie einen Moment lang völlig ratlos: „Das stimmt doch gar nicht“, sagt sie dann schließlich. „Hier leben wunderbare junge Designer. Sehen Sie nicht, wie viel Mode hier entsteht?“ Unterschiede sieht sie eher im Lebensstil, im Lebenstempo, an den Prioritäten. Die Französin wirke auf jeden Fall sehr entspannt. New Yorkerinnen stünden viel mehr unter Druck. Die Berlinerinnen sieht sie irgendwo in der Mitte. Auch sie nehmen sich längst nicht so viel Zeit fürs Essen wie die Französinnen. In New York ist es immer eine ziemliche Affäre, eine Dinner-Party zustande zu bringen. Man muss die Terminkalender der Gäste aufeinander abstimmen, alles verlangt viel Planung und Perfektion. Ganz anders in Frankreich. Wenn sie komme, werde sie von ihren Freunden immer wieder zu spontan improvisierten Dinner-Partys eingeladen. Hauptsache, man sitzt zusammen und isst und trinkt und spricht miteinander.

Berlin als Stadt der ungezählten Kneipen und Restaurants, die zum Teil die Funktion von kollektiven Wohnzimmern übernehmen, hat traditionell eher eine aushäusige Kultur. Lieber trommelt man eine Runde beim Italiener zusammen, als selbst zur Spaghetti-Zange zu greifen. Doch werden Dinners im kleinen Kreis besonders in den gehobeneren Zirkeln immer wichtiger. Wahrscheinlich entsteht ein Trend, der sich in kostenbewussten breiteren Kreisen auch noch weiter durchsetzt. Zumal das Angebot an kleinen spezialisierten Lebensmittelläden ebenfalls größer geworden ist, auch wenn man bei der Vorbereitung eines Dinners noch weit von der französischen Akribie entfernt sein mag.

„Bei uns in Frankreich braucht man eine Menge Zeit, um Lebensmittel einzukaufen. In der Bäckerei, beim Gemüsehändler machen sich alle viele Gedanken über die richtigen Zutaten für ein Abendessen“, sagt Mireille Guiliano. Ein mit vielen Überlegungen gekochtes Essen befriedigt natürlich viel mehr als eine schnell weggestopfte und kaum bewusst wahrgenommene Fast-Food-Kalorienbombe. Es hält länger vor, macht also schlank. Solange Zeit zum bewussten Genuss bleibe, werde sich der Körper nicht rächen.

Worauf es wirklich ankommt bei der Genuss-Diät, ist die richtige Haltung. Französische Frauen, erfährt man aus ihren Leitsätzen, mögen keine Spirituosen, trinken aber regelmäßig Wein zum Essen und natürlich sehr viel Wasser. Letzteres hat sich auch in New York und Berlin durchgesetzt. Und das Interesse an Wein hat sich in Berlin nach der Öffnung der Grenzen geradezu explosionsartig erhöht.

Bis zur vollständigen Genuss-Angleichung bleiben dennoch einige Hürden zu überwinden. Der Umgang mit teuren Genussmitteln erzieht ja schon automatisch zum Maßhalten. „Französinnen“, sagt Mireille Guiliano, „brauchen keinen besonderen Grund, um eine Flasche Champagner zu öffnen.“ An dieser Latte wird sowohl die gesundheitlich korrekt lebende New Yorkerin wie auch die sparsame Preußin zu knabbern haben.

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