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Berlin: Die goldene Mitte

Nirgendwo hat sich Berlin so gewandelt wie im Regierungsbezirk: Manche fühlen sich wie auf dem Rummel, andere profitieren von unbegrenzten Möglichkeiten

Ab und zu klingeln Passanten einfach so an der Haustür. „Gerade empörte sich eine fremde Dame mächtig darüber, dass so ein allein stehendes Haus eine städtebauliche Katastrophe sei“, sagt Uschka Thierfelder lachend. Andere wollen nur mal aus Neugier reinschauen. Ein Hingucker ist das kleine, einzelne Vorgründerzeithaus in der Gipsstraße mit den leuchtend roten Geranienkästen allemal. Und dass es hier statt eines zu DDR-Zeiten geplanten Plattenbauriegels steht, dafür hat Uschka Thierfelder, 64, gesorgt.

Sie und ihr Mann sind trotz massiven Drucks der Behörden nicht ausgezogen, damals, Anfang der Achtziger, als die anderen Mieter den maroden, seit Jahren zum Abriss vorgesehen Kasten nach und nach in Richtung Platte verließen. Beide hatten Formgestaltung und Innenarchitektur auf Burg Giebichenstein in Halle studiert und begannen, Haus und Wohnung selbst zu reparieren. Seit 35 Jahren lebt Uschka Thierfelder hier in einer Maisonettewohnung, die Zimmer überschaubar und sehr sorgfältig eingerichtet. Ex-Gatte Jürgen wohnt oben drüber. „Wir sind zwar seit über 20 Jahren geschieden, aber leben trotzdem gut in einem Haus.“

Linienstraße, Gipsstraße und Auguststraße – ein von Baustellen übersäter Kiez. Vor der Wende sah die Gegend so aus: „Äußerlich desolat mit verrottenden Fassaden und leerstehenden Wohnungen“, sagt Uschka Thierfelder, „aber trotzdem sehr lebendig mit einer guten sozialen Mischung. Studenten, Handwerker, Künstler, Arme.“ Für sie als begeisterte Stadtpflanze sei immer nur infrage gekommen, mittendrin zu wohnen, mit wenigen Fahrradminuten zu den „Dingen, die das Leben ausmachen wie Theater oder Kino“.

Mit der Wende 1989 wurde aus Uschka Thierfelders Engagement für die Altbauten der Spandauer Vorstadt professionelle Passion. Atemlos erzählt sie von all den Nachbarschafts- und Bürgerinitiativen, die sie mitgegründet hat, vom Bündnis Mitte und vom Neuen Forum. „Wir waren rund um die Uhr aktiv.“ Letzte DDR-Plattenplanungen kippen, Häuser in der Joachim- und Mulackstraße vorm Abriss bewahren, den Status Flächendenkmal und Sanierungsgebiet erkämpfen. Keine Ahnung hatte sie bis dahin von Baugesetzen und Stadtplanungsbürokratie „Das hat mein Leben völlig umgekrempelt.“ Bis 2006 gestaltete Uschka Tierfelder erst ihren Kiez, dann Mitte als Bezirksverordnete mit. 17 Jahre lang. „Aus Achtung vor dem, was die Menschen vor uns geschaffen haben. Und weil ich will, dass die Mitte der Stadt für alle lebenswert bleibt.“

Doch wie der Szenekiez sich neuerdings entwickelt, macht Uschka Thierfelder wütend. „Am Hackeschen Markt gibt's draußen über 1000 Kneipensitzplätze und dazu Leuchtpalmen – das ist billiger Rummel wie am Ballermann.“ Mitte der Neunziger seien weltoffene Leute nach Mitte gezogen, die eine spannende, nicht so geleckte Umgebung suchten, einen Kiez in Aufbruchstimmung. Danach seien dann die ohne Interesse an der Nachbarschaft gekommen. „Ich frag' mich mittlerweile schon, ob das noch mein Viertel ist“, sagt sie. Die Monostruktur aus Galerien, Modeläden und Kneipen findet sie unmöglich. Und sie bedauert, dass viele gute Freunde aus der Spandauer Vorstadt weggezogen sind.

Eigentlich ist die Bezirkspolitikerin an diesem Wandel nicht ganz unschuldig. Dass ihr Einsatz für ein baulich attraktives Mitte erst möglich gemacht hat, dass die Gegend zum Touristenmagnet wurde, ist ihr bewusst. „Natürlich ist das jetzt das Ergebnis der Veränderungen, die ich wollte“, sagt sie. Aber es gebe in Berlin eben leider auch keinen Milieuschutz im Sanierungsgebiet.

Uschka Thierfelder wird trotzdem in Mitte bleiben. „Zumindest, solange auf dem Weg zum Einkaufen noch jemand grüßt“, sagt sie. Wie auf Stichwort, klappt das beim Abschied vor dem Haus bestens. Kaum steigt sie aufs Fahrrad, winkt ihr auch schon jemand zu. Gunda Bartels

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