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Berlin: „Die Grünen haben dazugelernt“

Wie Integration wirkt: Fraktionschefs von CDU und Bündnis 90, Pflüger und Eichstädt-Bohlig, diskutieren

Von Sabine Beikler

CDU und Grüne wollen mit Henryk M. Broder am kommenden Mittwoch ab 19.30 Uhr im Road-Runners-Club in der Saarbrücker Straße 7 über ihre Integrationskonzepte diskutieren. Wir sprachen darüber mit den Fraktionsvorsitzenden Friedbert Pflüger (CDU) und Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne).

Wo liegen die Gemeinsamkeiten und die größten Unterschiede?

Pflüger: Unsere gemeinsame Position: Alle Menschen haben die gleiche Würde, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Wir freuen uns über Beispiele gelungener Integration, die Bereicherung durch andere Kulturen, über Migranten, die mit ihrer Arbeit zum Wohl unserer Stadt beitragen. Unsere Unterschiede: Eine wichtige Voraussetzung für tolerantes Zusammenleben besteht darin, dass Recht und Gesetz überall gelten und keine rechtsfreien Parallelgesellschaften entstehen. Wer die Trennung von Staat und Religion ablehnt, Ehrenmorde oder Zwangsverheiratung befürwortet, kriminell oder gewalttätig ist, muss mit der entschiedenen Reaktion des Staates rechnen. Die Grünen neigen dazu, die Probleme, die von gewalttätigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausgehen, zu unterschätzen oder zu beschönigen.

Eichstädt-Bohlig: Für uns Grüne gehören Migranten zur deutschen Gesellschaft dazu, mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Das sieht auch die CDU so, aber viele Konservative betrachten Migranten und ihre Kulturen nach wie vor misstrauisch als Störfaktoren, die man abschieben muss, wenn sie sich nicht an die „deutsche Leitkultur“ anpassen. Städte sind jedoch Orte des kulturellen Austauschs und der Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen. Berlin muss diese Vielfalt als Chance begreifen und die Integration gestalten.

Welche Rolle spielt die Bildungspolitik?

Pflüger: Frühkindliche Bildung, nicht zuletzt das Erlernen der deutschen Sprache, ist ein Schlüssel dafür, ob ein Migrantenkind später eine Chance in unserer Gesellschaft hat. Frühe Sprachtests und Sprachförderung sind absolut notwendig, ebenso die Regel, auf dem Schulhof Deutsch zu sprechen. Das ist keine Zwangsgermanisierung, sondern Chancenverbesserung! Zum Glück haben die Grünen dazugelernt, was die Bedeutung der deutschen Sprache für erfolgreiche Integration angeht.

Eichstädt-Bohlig: Die konsequente Förderung von Sprache und gemeinsamem interkulturellen Lernen in Kita, Schule, im Sport und in vielen soziokulturellen Projekten ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Der gemeinsame Ethikunterricht ist wichtig. Was Berlin braucht, sind systematische Integrationskonzepte gerade in Schulen und Kitas, damit Ganztagsschulen wirklich zu Stadtteilzentren werden können und Kitas zu Familientreffs. Dafür müssen auch etwas mehr Mittel bereitgestellt werden als derzeit. Statt das Verwahren kriminell gewordener Jugendlicher teuer zu bezahlen, sollten wir lieber Geld für gute Bildung in die Hand nehmen.

Wie wollen Sie Jugendliche mit Migrationshintergrund fit für den Arbeitsmarkt machen?

Pflüger: Wer für sich keine Chancen sieht, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu erhalten, wird leichter anfällig für Kriminalität und Extremismus. Berlin ist noch immer Schlusslicht beim bundesweiten Aufschwung – das ist Gift für Integrationschancen! Nirgendwo funktioniert Integration besser als am Arbeitsplatz.

Eichstädt-Bohlig: Zuallererst müssen die jungen Migranten das Gefühl bekommen, dass sie nicht chancenlos sind, sondern Teil der Gesellschaft. Sie brauchen Perspektiven in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt. Verwaltung, Polizei, Gesundheitsdienste etc. müssen eine angemessene Quote Jugendlicher mit Migrationshintergrund ausbilden. Auch Unternehmen der „ethnischen“ Wirtschaft müssen mehr ausbilden. Unser Bildungssystem mit der Hauptschule als „Restschule“ muss verändert werden. Berlin braucht mehr systematische Nachqualifizierung für die vielen Jugendlichen, die ohne Ausbildung auf der Straße stehen.

Soll es für Berlin eine Art Moscheen-Masterplan geben und der Senat statt der Bezirke über Baugenehmigungen entscheiden?

Pflüger: Weder noch. Wir haben Religionsfreiheit. In Berlin gibt es neben den christlichen Kirchen unzählige Gotteshäuser anderer Religionen. Wenn nach Recht und Gesetz eine Moschee oder eine Synagoge gebaut wird, müssen diese gegen Fanatiker und Extremisten geschützt werden. Umgekehrt aber ist die Frage berechtigt, ob es klug ist, zum Beispiel eine Moschee ausgerechnet dort zu errichten, wo nicht ein einziger Muslim lebt. Ein Gotteshaus muss aus einer Gemeinde heraus wachsen. Ralph Giordano hat recht, wenn er davor warnt, Ängste und Sorgen von Bürgern gegen einen Moscheeneubau pauschal als ausländerfeindlich abzutun. Auch ich bleibe bei meiner Position: Die Sorgen der demokratischen Heinersdorfer Bürgerinitiative gegen die Ahmadiyya-Moschee sollten ernst genommen und nicht als rechtsradikal verteufelt werden.

Eichstädt-Bohlig: Nein, nötig ist weder ein Moscheen-Masterplan noch dass die Baugenehmigungen vom Senat erteilt werden. Wichtig ist der rechtzeitige intensive Diskussionsprozess in den Stadtteilen über die Ziele und Aufgaben der (sehr verschiedenen) Moscheen. Wichtig sind immer gute Streitgespräche über unsere gesellschaftlichen Grundwerte, Moral und Religion und die des Islam. Aufeinander zugehen statt sich abkapseln ist die Aufgabe und das beste Rezept gegen islamistische Separatisten.

Was wäre für Sie das wichtigste Kennzeichen eines „aufgeklärten“ Islam?

Pflüger: Ich habe vor einigen Jahren den Wali (Gouverneur) von Fes in seinem Haus besucht. Dort hing die Sure: Es soll kein Zwang herrschen in Glaubensfragen. Das ist aufgeklärter Islam! Genauso die Trennung von Staat und Religion im Sinne Atatürks. Auch das Christentum ist vor der Aufklärung viele Irrwege gegangen, denken wir nur an Kreuzzüge und Inquisition. Ich hoffe, dass sich in der islamischen Welt moderne und weltoffene Ideen endlich durchsetzen und die orthodoxen Fanatiker isoliert werden.

Eichstädt-Bohlig: Das umfassende Beachten der Rechte der Frauen ist mir das Wichtigste: keine Zwangsheirat, keine sogenannten Ehrenmorde und das Kopftuch nur als selbstbestimmte Entscheidung. Dabei darf es aber nicht nur darum gehen, dass unsere Mehrheitsgesellschaft Anforderungen an den Islam stellt. Wir selbst müssen uns unserer Werte neu vergewissern. Freiheit heißt immer auch Verantwortung und nicht Beliebigkeit und Gleichgültigkeit. In den Spiegel, den uns engagierte Muslime vorhalten, sollten wir darum durchaus schauen.

Das Interview führte Sabine Beikler.

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