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Berlin: Die Guten ins Töpfchen

Eine Kunst für sich ist der süße Senf. Unsere Probierrunde entdeckte erstaunliche Unterschiede

Vielleicht wird in Preußen noch viel mehr über die Weißwurst nachgedacht als in ihrem Entstehungsland. Denn ihr wesentlicher Reiz besteht womöglich nicht so sehr im Geschmack als solchem, sondern eher im Vorgang des Verzehrs, der von ihrer schlappen Konsistenz und einem kaum fassbaren Aroma nur noch gestärkt wird. Im Unterschied zu Bayern, wo die Weißwurst zum Brauchtum gehört, steht man hier also jedes Mal neu vor der Entscheidung, sie entweder aus der Haut zu zutzeln, sie von ihrer Pelle zu befreien oder ganz von ihrem Verzehr abzusehen. Gegen Letzteres spricht eigentlich nur eins: der süße Senf.

Grundsätzlich erhält diese Art bayerisches Chutney eine ganz andere Aufmerksamkeit als ein gewöhnlicher Senf, über den man eigentlich nicht spricht (oder nur dann, wenn er nichts taugt). Neben seiner Stellung im stetig beliebter werdenden süß-sauren Kosmos dürfte lieblicher Mostrich auch vielseitiger sein. Als eigenwillige, der Marmelade nahe stehende Komponente einer zünftigen Jause unterwirft er sich noch jede Wurst – insbesondere auch solche mit Räuchernoten – und bietet sich zudem als Begleiter von verschiedenen Käsesorten an.

Der Käsewagen des Hotel Brandenburger Hof ist berühmt. Zu noch mehr Anerkennung hat es inzwischen Sternekoch Sauli Kemppainen gebracht, der die Küche befehligt. Seine zupackende Art kennzeichnet nur eine, wenngleich für diese Verkostung nicht unwesentliche Seite seiner Kochkunst. Die andere dagegen ist enorm subtil und ungemein verspielt im Detail, so dass sein Restaurant „Quadriga“ schon seit Längerem zu den Stätten zählt, um deretwillen viele eine Reise nach Berlin unternehmen. Die monatliche Testrunde hatte es natürlich leichter. Alle Mitglieder mussten nur kurze Wege zurücklegen, um zur Versammlung an eben diesem kulinarischen Ort zu gelangen. Sauli zur Seite standen Peter Frühsammer, immer jugendlicher Veteran der Viktualienprüfung, und Thomas Kurt vom Kreuzberger Restaurant „E.T.A. Hoffmann“, im Kulinarischen ein alter Fuchs, der nicht nur auf Gänse aus ist.

Kurt war es auch, der das erste Gläschen aufschraubte. Bei der Beurteilung des mit Säure nicht geizenden „Byodo Süsser Senf“ aus dem Naturkostladen kam ihm der quicke Frühsammer allerdings zuvor, als er mit „bitter und banal“ den Eindruck der gesamten Runde zusammenfasste. Dafür traf Thomas Kurt dann den Nagel auf den Kopf, als er „Zwergensenf Süß“, ebenfalls aus der Biosparte, das Zeugnis ausstellte. Nicht nur nach seinem Empfinden handelt es sich hier eigentlich um gemahlenen und gesäuerten Pumpernickel, der mit Mitteln der Senfherstellung täuschend echt nachgeahmt wurde. „Und klebt auch noch am Löffel wie Fruchtzwerge“, fügte Kurt hinzu.

Die Beschaffenheit war es vor allem, die dem mittlerweile zum Premium-Erzeugnis aufgestiegenen „Händlmaier's süßer Hausmachersenf“ Punkte kostete. Denn die schleimige Konsistenz, in der die Zutaten gleichsam nebeneinander herlaufen, wirkt doch störend. Auch wenn bei diesem Produkt aus der Oberpfalz die Harmonie von Säure und Süße grundsätzlich gegeben ist, so äußerst sich die dominante, eher an Kunsthonig statt an den deklarierten braunen Zucker erinnernde Süße erst spät – dann aber geballt. Aber es war nicht einmal diese Wiedergutmachungsgeste, die alle von der Traditionsmarke abrücken ließ. Dem Gastgeber höchst selbst blieb es dann überlassen, das entscheidende Manko zu entdecken. „Es fehlt Salz – und zwar komplett“, sagte Sauli und durfte sich nach der Probe von „Händlmaier's süßer Bio-Senf“ durchaus bestätigt sehen. Die sich im Mund zunächst ganz glatt anfühlende Variante wird rasch mehlig. In diesem Brei treten alsbald bittere Noten hervor. Sie sind nicht selten bei durchgemahlenen Sorten – besonders dann nicht, wenn neben weißen auch braune Senfsaat zum Zuge kommt oder die Körner vor dem Zerreiben geröstet werden. Ob dem so war, lässt das Etikett offen. Fest steht jedoch, dass eine gezügelte Süße sowie relativ wenig Essig den genannten Noten zu wenig entgegensetzen.

Zu „Frey Jausensenf mittelsüß“ aus Wien, der im KaDeWe erhältlich ist, rief Peter Frühsammer ein fröhliches „Ist die Leberwurst schon drin!“ in die Probierstube. Das klingt zwar lustig – doch leider versteht der Gaumen niemals Spaß. Zu diesem verblüffend animalischen Eindruck gesellt sich noch eine Zuckrigkeit, die sich im Mund nicht recht ausbreiten will, sowie ein Sträußchen Trockenkräuter, die schwer zu identifizieren waren. Noch entschiedener am Thema vorbei ging „Bautz'ner Senf pikant-süß“. Haben die Hersteller dieses oft mit einer Brust voll Heimatstolz gepriesenen Ostprodukts nur vom Hörensagen vernommen, dass es so etwas Exotisches wie süßen Senf gibt und dann kurzerhand Zucker in ihren simplen Tafelsenf gekippt?

Eher dem klassischen Missverständnis bricht die „Berliner Senfmanufaktur“ mit ihrem Aprikosensenf eine Lanze. Der geschmeidige Teig, in dem so etwas wie Aprikosenessig und Nelke den Ton angeben, könnte man Thomas Kurt zufolge gut auch im indischen Imbiss einsetzen. Wenn wir schon bei Fehlschlüssen sind: Über die Idee von „Miriam Eva Kebe Living Bio“ (donnerstags auf dem Hackeschen Markt), dem Aprikosensenf Chili anstelle von Meerrettich beizufügen, kann man streiten. Aber sobald das Gesamte außer scharf nur noch scharf wird, übernehmen die Tränendrüsen die Entscheidung der Zunge. Demgegenüber wirkt der österreichische „Gänserndorfer Honigsenf“ vertraut wie ein Pflaumenmus, in das spielende Kinder tüchtig Senf gerührt haben. Frühsammer würde Gänserndorfer zu Rehboulette reichen.

Aber wann macht man schon einmal Rehboulette? Thomas Kurts Frage ließ das grelle Licht der Wahrheit aufblitzen. Sie zielte auf den Kern der Sache. Auch ein süßer Senf muss sich mit vielem vertragen, ob es sich nun um helle Brühwurst, Leberkäse, richtigen Käse, Räucherlachs, ein Schinken- oder Salamibrot handelt oder aber um Schweinebraten, Rehrücken oder Tafelspitz. Neben dem wie mit Semmelbröseln verlängerten Senf der Regensburger „Wurstkuchl“, mit dessen Verzehr sich ein Münchner Gast der Tafelrunde wegen eines kaum wahrnehmbaren Radi-Aspekts an Hofbräuhaus und Biergarten erinnert fühlte, blieben drei Sorten eigentlich ohne großen Fehl und Tadel. Dass keine Manufakturware darunter war, liegt auch daran, dass die großen Drei in Deutschland auf diesem Gebiet wenig bewandert scheinen. Weder „Monschauer Senf Mühle“, die Thüringer „Kunstmühle Kleinhettstedt“ noch der Hallenser „Georgensenf“ haben direkt vergleichbare Sorten im Angebot. Vielleicht jedoch erreichen sie die Regale unserer Stadt nicht.

Den Sieg unter sich machten „Develey Original Münchner Weißwurstsenf süß“, „Altenburger bayrischer Hausmacher Senf süß, pikant“ und „Löwensenf bayerisch süss“ aus. Der Letztgenannte ist auf Malz gebaut und hilft der Zunge mit einer prickelnden Säure auf die Sprünge. Seine schöne Textur, die jene spelzig-trockenen Eindrücke des grob Vermahlenen mit fast siruphafter Geschmeidigkeit vereint, hebt superbe Kaffeenoten wie auf ein Podest. Darin verrät er sich am ehesten als Düsseldorfer. Hinter ihm kam mit Altenburger ein echter Bajuware auf Platz drei. Dieser sämige Senf macht nichts falsch, was viel ist für eine Zutat des nährenden Alltags. Während der angenehm altmodische Altenburger einem ein bisschen wie ein um Salz vermehrter und um Zucker verringerter Händlmaier vorkommen kann, ist Devely unvergleichlich. Sehr viel Tiefe, dazu kompakt, das wirklich Feine mit einem Anflug von frisch geborstener Nuss streifend und in der Entfaltung der Süße dem Marzipan nicht fern, stellt das Haus von Johann Conrad Develey, der im Jahr 1854 den ersten süßen Senf verkauft haben soll, einen Sieger mit Tradition.

Eigentlich kann man einen Gewinner wie diesen, dem nur der Senf im Münchner Brauhaus Franziskaner zur Seite zu stellen wäre, kaum anders als mit Stilblüten angemessen würdigen. Also: Develey legt sich prachtvoll wie ein samtiger Schatten auf die Wurst. Ist sie einmal fad, gießt der Mostrich aus Unterhaching Öl in die Höhle des Löwen. . .

Gastgeber: Restaurant „Quadriga“ im Hotel Brandenburger Hof, Wilmersdorf, Eislebener Str. 14, Tel. 214050

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