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Berlin: Die Joschka-Show

Der Außenminister sprach an der FU zur Eröffnung des neuen Master-Studiengangs „Internationale Beziehungen“

Joschka Fischer ist gut drauf an diesem Nachmittag. Gerade hat er den Iranern die Atomwaffen entwunden, hat mit dem israelischen Amtskollegen gesprochen und herbe Sparmaßnahmen des Bundeskabinetts mitgetragen – da ist sein Auftritt an der FU eine willkommene Lockerungsübung. Er steigt aufs Podium, legt aus dem Stegreif eine 40-minütige Analyse der aktuellen Weltlage nebst historischer Perspektive hin, und alle sind baff. Studenten, deren politische Position prinzipiell offenbar ganz anders aussieht, haken respektvoll nach, als sei schon Prüfung: „Sehr geehrter Herr Außenminister. ..“

Die Joschka-Show war in der Stadt, der realpolitische Einakter der Weltspitzenklasse. Anlass: Die FU, die Humboldt-Uni und die Universität Potsdam eröffnen einen gemeinsamen Master-Studiengang „Internationale Beziehungen“. Fischer betont glaubwürdig, er habe gern zugesagt, die Eröffnungsrede zu halten, hält sich ein paar Sekunden mit tagespolitischen Anmerkungen auf („ich würde mich freuen über kreative Anstrengungen, wie Sie als Studentengeneration sich an der Bildungsfinanzierung beteiligen können“), dann holt er aus zur großen Geste, die ihm das schlechthin globale Thema „Weltpolitik im 21.Jahrhundert“ auferlegt – ein nachdrückliches Plädoyer für den ausbalancierten Multilateralismus, den er für die einzige sinnvolle Konsequenz der Selbstzerstörung des alten bipolaren West-Ost-Systems hält.

Ist die Globalisierung nur eine Episode oder weltpolitisch so einschneidend, wie es einst die Industrialisierung war? Er stellt sich die Frage selbst, antwortet, dass er sie nicht beantworten könne, und teilt dann mit, er neige doch sehr zur zweiten Auffassung. Es geht atemlos von Wegmarke zu Wegmarke, vom Ersten Weltkrieg zum Zweiten, von Pearl Harbor nach Jalta, vom 9. November 1989 zum 11. September 2001. Die Sätze nehmen Fahrt auf, gehen in Einschüben, Gedankensprüngen, Parellelüberlegungen verloren, aber nur scheinbar, denn bald ist die Spur wieder gefunden, wird weiterverfolgt. Die alte Ost-WestKonfrontation sei durch ein Drei-Ebenen-Modell ersetzt worden, erläutert er, oben die Zentralmacht USA, darunter die Regionalmächte, unten die „fading states“, die Staaten in Selbstauflösung, die die Quelle terroristischer Anschläge auf die Zivilgesellschaften der anderen Ebenen sind. „Mein Alptraum“ sagt er und beschreibt das, was er die Konfliktstruktur des 21.Jahrhunderts nennt: den Mix aus religiösem Hass, nationalistischer Konfrontation, Massenvernichtungswaffen und Terrorismus.

Er habe den Irak-Krieg bekanntlich falsch gefunden, sagt Fischer provokativ, aber zumindest habe dieser Krieg die Reorganisation der UN eher erleichtert als erschwert, und ohne diese Reorganisation gebe es keinen effizienten Multilateralismus mit echter Teilhabe für alle Länder. Immerhin: Im Vergleich zum Kalten Krieg, meint er, „ist die Lage heute nicht mehr ganz so gefährlich“.

Dann gibt es noch ein wenig Kabarett: Eine Studentin, die sich ein härteres Vorgehen gegen die chinesische Tibet- Politik wünscht, wird von Fischer flugs in ein diplomatisches Rollenspiel verwickelt: „Sie sind jetzt mal Joschka Fischer!“ Dann gibt es ein paar realpolitische Dialoge, China stellt sich stur, die Länder der Dritten Welt tragen eine UN-Resolution nicht mit, was machen wir denn nun? „Sie stellen schwierige Fragen!“, stöhnt die Studentin. Tja, sagt Fischer, der gerade erst die richtige Betriebstemperatur erreicht hat und zu einem kleinen Kolleg über den Sinn militärischer Stärke der EU ausholt, ohne Widerspruch. Dann ist Schluss: starker, einhelliger Beifall. Die Berliner Studenten scheinen reif für internationale Beziehungen.

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