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Berlin: „Die Krieger haben kalte Füße“

Christine Hachfeld lebt in einem Dorf im Norden Kenias. Genug Wasser hat sie selten – aber was heißt schon sauber? Nun hat sie ein Buch geschrieben über ihr Leben zwischen Malaria und schwarzen Mambas. Eine Begegnung in Afrika

In Kurzform lautet die Geschichte so: Vor 16 Jahren reist Christine Hachfeld nach Kenia. Sie braucht einen Tapetenwechsel, sie ist geradeWitwe geworden. Mit einem afrikanischen Freund fährt sie in sein Dorf, will das ursprüngliche Kenia kennen lernen. Einer der jungen Männer dort, er heißt Lpetati, steht eines Tages in der Tür und sagt: Heirate mich. Christine Hachfeld heiratet ihn also. Der Mann ist sehr viel jünger als sie. 16 Jahre später schreibt sie ein Buch. Und zehn Journalisten, voll gepumpt mit Impfstoffen und besprüht mit Mückenschutz, reisen in die Wildnis, um der seltsamen Geschichte auf den Grund zu gehen. Sie sehen: eine Dame von etwa 60 Jahren (sie macht ein Geheimnis draus) mit Po-langem, weißblondem Haar und eine Hütte von etwa 20 Quadratmetern. Am Vormittag.

Frau Hachfeld, Sie haben vorhin so geschimpft, als wir Ihrem Mann eine Zigarette anboten. Haben wir was falsch gemacht?

Er hat sie genommen! Deshalb habe ich geschimpft. Er soll nicht rauchen! Er lag acht Monate lang auf Leben und Tod mit Tuberkulose.

Entschuldigung! Keine Zigaretten mehr.

Damals waren allein in unserem Dorf 13 Leute infiziert. Ich war sechs Wochen an der Küste gewesen, um Musik zu machen und Geld zu verdienen, und als ich wiederkam, fand ich ihn ganz abgemagert. Die Familie hatte ihn schon abseits gelegt. Baumwurzeltee, Rindenumschläge, nichts hat geholfen. Da dachten sie, es sei eben Gottes Wille, dass er stürbe.

Und dann?

Es war nicht mein Wille, also habe ich ihn ins Krankenhaus gebracht. Es gibt hier ein kleines, das von Spenden lebt. Wir sind sehr froh um diese Klinik, aber eigentlich ist sie fürchterlich. Betonhäuschen, Plastikfetzen in die Ritzen gestopft gegen den Wind, das Bett nur ein Mauervorsprung. Ich musste alles mitbringen: Ofen, Matratze, Teller, Handtücher…

Und jetzt ziehen Sie Ihrem Mann Strümpfe an? Er ist fast der Einzige, der welche trägt.

Das ist nicht lustig. Es ist nicht leicht, diese Menschen gesund zu halten. Die Krieger haben ständig kalte Füße. Sie sind manchmal tagelang draußen und hüten das Vieh, und nachts wird es empfindlich kalt. Also trägt mein Mann Strümpfe.

Um mal beim Anfang zu beginnen – als Sie vor 16 Jahren herkamen: Haben die Verhältnisse Sie nicht abgeschreckt? Sie kamen aus dem hübschen Wennigsen, Hannover, Sie hatten einen Job als Lokalreporterin und zwei erwachsene Söhne in Deutschland, und plötzlich sollten Sie in der Steinzeit leben.

Ich fand’s herrlich. Diese Einfachheit. Na, gut, vielleicht habe ich es nur versucht, weil ich ja vorher schon ein Leben hatte. Mit 20 hätte ich mich mit der Entscheidung wahrscheinlich schwerer getan. Vermutlich hätte ich auch nicht durchgehalten. Ich war manchmal fix und fertig, hab’ tagelang geheult. Die gesamte Familie betrachtet mich als rettenden Anker, und manchmal fühle ich mich regelrecht ausgenutzt. Aber ich habe endlich etwas gefunden, das nicht vorgefertigt war. Wo ich mich beweisen muss. Sich zu erfahren, das geht ja nur in einer fremden Umgebung.

Ein teuer bezahlter Selbstfindungstrip. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es nicht leicht war, sich anzupassen.

Am schlimmsten war das erzwungene Zusammensein. Alleinseinwollen wurde nicht akzeptiert. Das war wie Kranksein. Hast du Kopfweh? haben sie immer gefragt. Und die Sorglosigkeit, mit der alles mit Beschlag belegt wurde… Ständig war was weg.

Bevor Sie 1996 Ihr Häuschen gebaut haben, haben Sie in einer typischen Familienhütte gewohnt. Die sind winzig, Ruß rieselt von der Decke, Tiere stehen im Gang.

Ja, da saßen die Alten bei uns auf dem Boden, schneuzten in die Hände und das Ergebnis wurde an die Wand geschmiert. Oder die Kleinen. Die haben keine Windeln an – und machten einfach auf meinen Boden! Das Wissen um Hygiene ist sehr gering, um Ansteckung, Keime. Viele haben ihr Baby im Arm und husten fröhlich dagegen. Nach Hause kommen und Hände waschen ist auch nicht drin.

Wir haben zu zehnt mindestens 200 kleine Wasserflaschen und bergeweise Feuchttücher mitgebracht, weil es hieß, das Wasser sei zu knapp, um Besuch zu versorgen…

Zurzeit haben wir geradezu verschwenderisch viel, weil es dauernd regnet. Wir sammeln das in der Tonne neben der Hintertür, sehen Sie? Bis 2001 war es furchtbar. Da hatten wir jahrelang Dürre. Wir haben schrecklich gehungert. Die Kinder bekamen Flechten und Hautekzeme, und bei mir krochen eines Morgens Maden aus einer Wunde. Aber komischerweise stört es auch dann noch, wenn man sich die Haare nicht waschen kann. Wenn’s ganz schlimm wurde, bin ich nach Maralal in eine Lodge und habe für 150 Kenia-Schilling eine volle Wanne bestellt.

Mir ist ja heute morgen die Zahnbürste ins Wasserloch gerutscht. Weg war sie. Einmal nicht Zähneputzen – das hat mich verstört. Gewöhnt man sich daran, dass sich der eigene Mann nie die Zähne putzt? Oder eher selten wäscht?

Sie fragen wirklich alberne Sachen. Die Menschen hier haben tolle Zähne. Sie kauen Lokimaki, das ist das Samburu-Wort für einen Strauch, dessen Zweige faserig werden und das Zahnfleisch straffen. Und was das Waschen angeht: dieser Duft nach Holzfeuer zusammen mit Milch und Schweiß… Ich kann das sehr gut riechen.

Am Abend. Es hat Ziege gegeben zur Feier des Tages. Sonst gibt es nur Tee mit viel Milch oder Milch mit Rinderblut und Maisbrei oder Bohnen. Die Krieger – so nennt Christine Hachfeld die Männer des Dorfes, obwohl die Samburu eigentlich Viehzüchter sind – hatten aus der Halsschlagader getrunken. Das soll stark machen. Eine Petroleumfunzel brennt, und die Hausherrin macht Tee auf einem Kerosinkocher. Sie bröckelt Schoten der Dornakazie hinein. Das beuge Magen-Beschwerden vor, sagt sie. Die Ziege war zwar durch, aber ein paar Journalisten haben schon Imodium akut bereitgelegt. Christine Hachfeld lacht…

… Damit habe ich mir damals Respekt verschafft. Zwei Kälber hatten Durchfall, und ich habe ihnen mit Wasser und Gras Imodium verabreicht. Danach war ich die Daktari. Eigentlich kommen die Menschen fast jeden Tag und wollen was. Weil der Hals oder die Brust schmerzen oder die Augen. Das liegt am aggressiven Holzfeuerrauch. Und in letzter Zeit sind die Pokot, unsere Nachbarn, an Gewehre gekommen. Sie machen Überfälle.

Wenn man sich hier so umschaut – Sie legen wirklich ein sehr großes Maß an Toleranz an den Tag. Aber kann man als Europäerin wirklich akzeptieren, wenn nebenan Mädchen beschnitten werden?

Glauben Sie nicht, dass ich nur zugeschaut habe. Meine Schwiegermutter Saito ist hier die Beschneiderin, und ich habe ihr einmal gesagt, dass das in Deutschland eine kriminelle Handlung ist. Sie war sehr beleidigt. Wenn ich protestiere, sagt sie mir einfach nicht mehr, wann Beschneidungen stattfinden, so ist das eben. Bis ich rausfand, wie man da einhaken kann, hat es gedauert. Das geht nur über die Männer. Die müssen begreifen, dass eine unbeschnittene Frau ebenso gut ist. Aber die sagen nur: Desturi. Sitte. Sie denken, eine unbeschnittene Frau ist unrein, weil etwas Männliches an ihr ist: die Klitoris, die hervorsteht. Sie denken, das sei ein kleiner Penis.

In einer Umgebung, in der nicht alle Werte die Ihren sind und jeder Gang zum Klo mit einem Schlangenbiss enden kann: Haben Sie nie Angst? Vor allem vor dem Alter? Hier alt zu werden…

Die deutsche Krankenversicherung läuft ja noch, über die Witwenrente in Deutschland. Und einmal im Jahr fliege ich und lasse mich durchchecken.

Ich hatte nach Angst gefragt.

Vor wilden Tieren nicht, vor schwarzen Mambas oder so. Ich mag Schlangen. Vielleicht vor Menschen.

Vor wem?

Vor solchen, die eifersüchtig sind und vielleicht was einfädeln könnten.

Was denn einfädeln? Und wieso?

Sehen Sie, es geht mir und meinem Mann sehr gut. Wir haben ein großes Haus, das wir alleine bewohnen, wie haben jetzt fünfeinhalb Kühe. Es freuen sich nicht immer alle für einen. Es gab da mal eine Intrige. Man wollte meinem Mann eine zweite Frau verschaffen. Da habe ich eine Weile nicht bei ihm gelebt, und das war lange zwischen uns. Aber wir rühren nicht mehr daran. Man will zurechtkommen. Und das klappt auch.

Das Buch „Mit der Liebe einer Löwin“, (Lübbe) ist ab heute im Handel. Und am

5. 11. ist Christine Hachfeld bei „Kerner“.

Christine-Felice Röhrs[bei Maralal, Kenia]

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