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Seit rund 50 Jahren schickt die Türkei Lehrer nach Deutschland. Jetzt will sie auch über eigene Schulen Einfluss nehmen.

© Thilo Rückeis

Die Kultusminister und der Konsulatsunterricht: Keine Angst vor Indoktrination aus Ankara

Ungeachtet der national-religiösen Inhalte des türkischen Konsulatsunterricht unternimmt die Kulturministerkonferenz erst einmal - nichts. Zur Türkei verliert sie kein Wort.

Die Kritiker des türkischen Konsulatsunterrichts werden enttäuscht sein. Obwohl bundesweit immer mehr Bedenken wegen "nationalistischer" und "religiöser" Inhalte des Lehrangebots aus Ankara laut werden, hat sich die Kultusministerkonferenz bei ihrer Oktobertagung am Donnerstag nicht gegen den Konsulatsunterricht positioniert. Sie vermied in ihrem knappen Statement, das dem Tagesspiegel vorliegt, sogar den Bezug zum türkischen Lehrplan, der doch der Anlass für die bundesweite Auseinandersetzung ist. Vielmehr ist im Statement nur allgemein vom "Thema Konsulatsunterricht" die Rede, das "diskutiert" worden sei.

"Sehr kritisch begleiten"

"Der Erfahrungsaustausch zeigte, dass die Umsetzung des muttersprachlichen Unterrichts für Kinder mit Migrationshintergrund in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird", hieß es weiter. Die Länder würden dieses Thema aber "weiterhin sehr kritisch begleiten" und es erneut auf die Tagesordnung setzen, "sollte sich weiterer Handlungsbedarf, etwa in der Zusammenarbeit mit den Konsulaten, abzeichnen". Dann werde man auch , "über gemeinsame Schritte mit der Bundesregierung beraten".

Wie zeitgemäß ist die Richtlinie von 1977?

In diesem Zusammenhang stehe dann auch die Frage im Raum, "wie zeitgemäß" die EU-Wanderarbeiterrichtlinie aus dem Jahr 1977 noch sei, auf der der Konsulatsunterricht beruht, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Susanne Eisenmann, die auch Ministerin für Kultus in Baden-Württemberg ist.

Der Sitzung vorausgegangen war - auch aus der SPD-geführten Bildungsverwaltung in Berlin - harsche Kritik an der türkischen Ausrichtung des Konsulatsunterrichts. Wie berichtet, ist die geforderte weltanschauliche Neutralität nicht gegeben. Vielmehr sind die Liebe zur Türkei und der Glaube an Allah feste Zielvorgaben. Dies belegt ein aktueller Lehrplan für 2017/18, der dem Tagesspiegel vorliegt. Die Lehrplanvorgaben zielen über weite Passagen auf religiöse Erziehung und den Stolz auf die Nation. Somit hält sich die Türkei nicht an die bilateralen Abmachungen, wonach sich der Unterricht auf Heimatkunde und den Erwerb der Muttersprache beschränken soll. Abgeordnete mehrerer Parteien kritisieren das scharf.

"Spitzelnetzwerk Erdogans"

Am Donnerstag meldete sich die Linke zu Wort. „Bund und Länder müssen dafür Sorge tragen, dass Erdogans langer Arm nicht mehr bis in deutsche Klassenzimmer reicht", forderte Sevim Dagdelen, der Beauftragte der Bundestagsfraktion für Migration und Integration, im Vorfeld der aktuellen KMK-Sitzung. Der von der türkischen Regierung gesteuerte und finanzierte Konsulatsunterricht müsse gestoppt und "vollumfänglich in das staatliche deutsche Schulwesen überführt werden". Es sei unverantwortlich, dass von Erdogan entsandte Lehrer "Schüler in Deutschland indoktrinieren und womöglich auch ausspionieren können“, erklärte Dagdelen weiter:

Der von Ankara konzipierte Konsulatsunterricht für türkische Muttersprachler sei "nationalistisch und islamistisch". Bund und Länder müssten jetzt rasch handeln und verhindern, dass Zehntausenden von Schülern in Deutschland weiterhin grundgesetzwidrig die ‚Reinheit des Islam‘ und der ‚Respekt vor der türkischen Flagge‘ "eingetrichtert" werde. Mit Blick auf die Spionage-Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen Imame des von Ankara aus gesteuerten Moscheeverbands DITIB und die gerade erfolgte Verurteilung eines türkischen MIT-Agenten in Hamburg müsse man davon ausgehen, dass auch türkische Konsulatslehrer zum Spitzelnetzwerk Erdogans gehören und spionieren.“

"Besorgniserregend und nicht hinnehmbar"

„Die im Lehrplan enthaltenen Inhalte sind mehr als besorgniserregend und für uns nicht hinnehmbar“, hatte zuvor schon die bildungspolitische Sprecherin der Berliner SPD-Fraktion, Maja Lasic, den Wortlaut des Rahmenplans kommentiert. Daher sei es „wichtig und richtig“, dass die Senatsverwaltung für Bildung Nachbesserungen eingefordert habe. Allerdings ist die Abgeordnete „skeptisch, ob die Nachbesserungen Früchte tragen werden angesichts der aktuellen Entwicklungen der Lehrpläne in der Türkei selbst“.

Daher komme es darauf an, dass der im Koalitionsvertrag enthaltene Ausbau staatlicher muttersprachlicher Angebote rasch erfolge, fordert Lasic. Die „einzige richtige Lösung“ bestehe darin, eigene Angebote in verschiedenen Herkunftssprachen zu stärken und nicht zuzulassen, „dass Regierungen anderer Länder unsere Kinder indoktrinieren“.

Bundesweit besuchen über 40.000 Kinder den Konsulatsunterricht

Der türkische Lehrplan, nach dem - zumindest in Berlin und Ländern wie dem Saarland - unterrichtet wir, steigt gleich damit ein, dass die Bedeutung von „nationalen und religiösen Feiertagen“ hervorgehoben wird. Weiter wird wie selbstverständlich vermittelt, dass Gott alles erschaffen habe. Bekenntinsneutralität sieht anders aus. An anderer Stelle sollen die Schüler einen eigenen Gebetstext erstellen.

Zudem geht es um „moralische Erziehung“, um den Propheten Mohammed, Ramadan und darum, sich mit Suren aus dem Koran zu beschäftigen. Übertitelt ist das mit der Zeile „Ich kenne meine Religion“. Später geht es um „Reinheit im Islam“ und immer wieder um das Beten.

Türkische Botschaft ignoriert Anfrage

Die türkische Botschaft hatte die Bitte des Tagesspiegels, den Lehrplan ausgehändigt zu bekommen, ignoriert. Zuvor hatte Botschaftsrat Cemal Yildiz mitgeteilt, dass der Lehrplan „nach unserer Auffassung keine religiösen und nationalistischen Inhalte enthält“. Dem war vorangegangen, dass Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses den Lehrplan als „deutlich religiös und deutlich nationalistisch“ beschrieben hatte. Rackles äußerte sich auf Anfrage von Lasic, die den Lehrplan schließlich selbst in Augenschein genommen und dem Tagesspiegel zur Verfügung gestellt hatte.

Dem Vernehmen nach ist der Lehrplan noch nahezu derselbe wie im Jahr 2009, als die Bildungsbehörde schon einmal Kritik geäußert hatte. Die türkische Seite hatte diese Kritik offenbar nicht zum Anlass genommen, die geforderten Änderungen vorzunehmen. Der Senat hakte nicht nach. Das passierte erst in diesem Jahr aufgrund der aktuellen Entwicklung in der Türkei. Botschaftsrat Yildiz betont, das sein Haus daraufhin Änderungen am Lehrplan vorgenommen habe. Diese Änderungen werden aktuell in der Bildungsverwaltung geprüft.

Kritik ist bekannt

Ähnlich desinteressiert wie Berlin verhielten sich in den Vorjahren auch Bundesländer wie Hamburg, Bremen, Baden-Würrtemberg oder Schleswig-Holstein. Zumindest ist nicht bekannt geworden, dass sich die Kultusverwaltungen mit der staatlichen türkischen Beeinflussung ihrer Kinder in hunderten öffentlichen deutschen Schulen beschäftigt hätten.

Geändert hat sich diese Haltung erst seit Beginn des Jahres 2017, als immer mehr Berichte über Verhaftungen oder Suspendierungen Andersdenkender in der Türkei sowie über Bespitzelungen von Erdogan-Kritikern in Deutschland bekannt wurden. Daraufhin hatte die Kultusministerkonferenz das Thema auf Betreiben von KMK-Präsidentin Eisenmann auf die Tagesordnung genommen. Eisenmann steht am stärksten unter Handlungsdruck, denn Baden-Württemberg hat über die Hälfte der bundesweit rund 40.000 Konsulatsschüler.

Eigene Lehrer fehlen

Allerdings stehen alle acht Bundesländer, die vom Konsulatsunterricht der Türkei betroffen sind, vor dem Problem, dass sie nicht genügend eigene Lehrer haben, die den Türkischunterricht übernehmen könnten. Selbst Berlin – mit dem größten türkischen Bevölkerungsanteil – bietet bisher kein Studium für Türkisch als Lehramt an. Daher will die Bildungsverwaltung jetzt versuchen, mithilfe von Volkshochschulkräften eigene Angebote aufzubauen. Das hatte auch der Bezirk Neukölln vorgeschlagen. Denn als ausgeschlossen gilt, dass der Konsulatsunterricht ad hoc ersatzlos gestrichen werden könnte, da viele Familien auf die muttersprachliche Ausbildung ihrer Kinder wert legen.

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