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Berlin: Die Kunst des Wartens

Vor allem Touristen zog es gleich am ersten Tag in die Ausstellung des Museum of Modern Art. Die Schlange gehört ab sofort zum Stadtbild

Die Wartenden vor den Neuen Nationalgalerie gehören seit gestern zum Stadtbild – all jene, die geduldig auf Einlass in die Sonderschau des New Yorker Museum of Modern Art warten. Das Jahr der Schlange hat begonnen. Dabei ließen es die Besucher am gestrigen Premierentag nach anfänglichem Großandrang eher noch ruhig angehen. Die Schlange vor dem Museumsbau war teilweise nur rund 50 Meter lang, und Glückliche überwanden die erste Hürde, den Eingang, nach etwa einer halben Stunde. Dann allerdings war noch einmal Geduld vor der Garderobe gefragt. Erster Eindruck: Die Ausstellung zieht vom Start weg vor allem Touristen an. Zu hören waren russische und englische, französische und italienische Dialoge, Deutsch schien eher die Ausnahme zu sein. Entsprechend herrschte da und dort Verwirrung über die richtige Route durch die Schau, die von den Veranstaltern, wie stets in der Nationalgalerie, nicht vorgegeben ist. Durch den Ausgang rein und durch den Eingang raus, akkurat immer an der Wand entlang, spontan kreuz und quer den interessantesten Bildern nach - alle Strategien waren zu sehen. Das Interesse konzentrierte sich, typisch für Sammlungen der klassischen Moderne, vor allem auf die gegenständlichen Werke. Eine dichte Menschentraube ballte sich von Anfang an vor Van Goghs „Sternennacht“, kaum ein Besucher verzichtete darauf, Augenkontakt mit den Löwen von Rousseaus „Traum“ aufzunehmen, die Feinheiten der Matisse-Tänzer zu erkunden oder Lichtensteins ertrinkende Schöne zu bedauern.

Picassos Ziegen-Skulptur, schon öfter in Berlin zu sehen, wurde vor allem von Kindern gern als Auflockerung akzeptiert, während die abstrakten Werke in der Publikumsgunst am Anfang generell zurückblieben und sich absehbare Provokationen gefallen lassen mussten: „Roter Vogel“ heißt das Bild von Agnes Martin, eine monochrome Leinwand, weiß mit leichtem Rotstich. Noch viele werden darüber sinnieren wie jene Frau, die gestern ihre Tochter ganz ironiefrei fragte: „Wo siehst du hier den roten Vogel?“

Wer mehr wissen will, kann den digitalen Ausstellungsführer umhängen - oder sich einem der lebenden Führer anschließen, die alles Notwendige über die gezeigten Werke wissen und auch nicht davor zurückschrecken, störrischen Jugendgruppen auseinander zu setzen, weshalb es Kunst sei, wenn Marcel Duchamp eine Fahrradfelge auf einen Hocker schraubt. Für weitergehende Erkenntnisse empfiehlt sich der mit allerhand MoMA–Ware ausgerüstete Museums-Shop, der beispielsweise Salvador Dalis sanft schmelzende Uhren „Persistance de la mémoire“ als 1000-Teile-Puzzle anbietet. Wer das hinter sich gebracht hat, weiß alles über das Bild und trägt mit Fassung, dass das Original in der Ausstellung stets umlagert ist. Der Shop bietet neben weiteren Warteschlangen ein buntes Sammelsurium von Kunstbüchern über Designobjekte bis zu richtiger Kunst: Ein „Dot Light“, ein Karton mit roten, von innen erleuchteten Punkten, kostet bescheidene 20 Euro, ein graues, irgendwie in Kunstverdacht geratenes Schürzenkleid ist für 120 Euro zu haben, und Besserverdiener können auch 3200 Euro anlegen für ein Mobile des Künstlers David Weeks. Ein hübsches Mitbringsel wäre zweifellos auch die gigantische Sahnetorte von Claes Oldenburg, die freilich unverrückbar und unbezahlbar in der Ausstellung liegt. Preisgünstigen Kuchen gibt es in der Cafeteria.

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