zum Hauptinhalt

Berlin: Die Paten von Senftenberg

Deutschland diskutiert, wie man Kinder besser schützen kann. In der Niederlausitz betreuen Ehrenamtliche schon 60 Prozent aller Familien mit Neugeborenen

Von Sandra Dassler

Senftenberg - Tara gähnt herzhaft und blickt von Papas Armen aus zufrieden in die Welt. Die kleine Senftenbergerin hat allen Grund dazu: Sie wurde als Wunschkind geboren und es gibt viele Menschen, die ihr auf ihrem vor drei Monaten begonnenen Lebensweg zur Seite stehen: Mama und Papa, Schwester und Bruder, Omas und Opas. Und Johanna Engler.

Johanna Engler besucht Taras Familie heute zum zweiten Mal. Sie fragt, wie es geht, freut sich, dass Tara eine Infektion überwunden hat und bald die nächste Impfung erhalten kann. Die 52-Jährige hat sich lange auf Besuche wie diesen vorbereitet: Schulungen über Kinderkrankheiten besucht, Gesetze studiert, sogar einen Kurs in Gesprächspsychologie abolviert: „Wir Paten müssen uns ständig weiterbilden“, sagt sie: „Aber das ist wichtig, dafür tun wir auch etwas sehr Sinnvolles.“

Johanna Engler ist eine von 47 Paten, die im Landkreis Oberspreewald-Lausitz bislang 140 Familien betreuen, die seit dem 15. Mai dieses Jahres Nachwuchs bekamen. Am 15. Mai startete das Netzwerk „Gesunde Kinder“, an dem sich Hebammen, Kinderärzte und Geburtskliniken beteiligen, aber auch Behörden, Frauenhaus und Kinderschutzbund. So etwas hat es in Deutschland noch nicht gegeben, sagt Solveig Reinisch. Die 38-Jährige ist die Koordinatorin des Netzwerks, das sich nicht wie bisherige Betreuungsangebote an einzelne Gruppen wie junge Mütter oder Migranten richtet, sondern alle Familien einbeziehen will.

Deshalb hat Solveig Reinisch manchmal Probleme mit Journalisten. „Die wollen meist nur über uns schreiben, wenn es wieder einen tragischen Fall von Kindesvernachlässigung gibt“, sagt sie. „Aber unser Projekt kann nur erfolgreich sein, wenn sich Familien, die sich daran beteiligen, eben nicht als ,problematisch’ stigmatisiert werden.“ Bisher sei das gelungen. Etwa 60 Prozent der Familien machen mit. Und es werden immer mehr.

Taras Mutter Anke Pulter hatte den beim Frauenarzt ausliegenden Informationsbogen zum Netzwerk zunächst nicht beachtet: „Ich dachte, das richte sich nur an Familien mit Problemen“, erzählt sie. Dazu gehören die Pulters nicht – obwohl Vater René vor sechs Jahren seinen Job als Bahn-Elektriker verlor. Da war er 30, Tochter Lisa sechs und Sohn Adrian zwei Jahre alt. „Arbeit gab es nur weit weg“, sagt er: „Ich wollte nicht getrennt von der Familie sein.“ Deshalb leben die Pulters seither vom Lehrerinnen-Einkommen der Mutter. Schon acht Wochen nach Taras Geburt ging Anke Pulter wieder arbeiten. Ihr Mann managt zu Hause die Kinder, findet das sinnvoller als seinen früheren Job.

Die Pulters wissen aber, dass viele Familien weniger gut zurechtkommen. In der Schule sei sie manchmal mehr Sozialarbeiterin als Lehrerin, sagt Anke Pulter. Allerings sei durch die Schule auch eine Art Kontrolle gegeben – um den Zustand der kleineren Kinder kümmere sich hingegen oft niemand. Auch deshalb entschlossen sich die Pulters, doch beim Netzwerk „Gesunde Kinder“ mitzumachen. „Es kann nur funktionieren, wenn sich alle Familien beteiligen“, sagt René Pulter: „Wenn das normal wird.“ Seine Frau zeigt stolz ein Buch, in dem alles, was Tara betrifft, eingetragen wird: Gewicht, Impfungen, Krankheiten. „Für die Großen hätte ich das auch gern“, sagt sie: „Ich weiß nicht mehr, wann sie Masern hatten oder ob beide am Ziegenpeter erkrankt waren.“

Initiiert wurde das Netzwerk „Gesunde Kinder“ von Hendrik Karpinski und Simone Weber. Sie sind Geschäftsführer im Klinikum Niederlausitz. Karpinski leitet auch die Kinderklinik und hat schon viele kleine Patienten geheilt. Bei manchen wusste er, dass sie danach zu Eltern zurückkehrten, die mit Versorgung und Erziehung schlicht überfordert waren. So kam ihm die Idee, eine kontinuierliche Betreuung von Familien zu organisieren.

Als Brandenburgs Regierungschef Platzeck (SPD) nach einem Finnland-Besuch berichtete, dass dort 99 Prozent der Familien mit Kindern durch „Tanten“ betreut werden, stand für Karpinski fest: So etwas wie das finnische „Neuvola“-Modell sollte es im Landkreis auch geben. Potsdam fördert das vorerst auf drei Jahre angelegte Projekt 2006 mit 125 000 Euro. Bei Erfolg soll es verlängert und auf das ganze Land ausgedehnt werden.

Dass die Landesregierung das Projekt unterstützt, liegt auch an den schlimmen Fällen von Kindesmisshandlungen, die immer wieder auftreten. Das Netzwerk wird solche Fälle nicht völlig ausschließen können, sagt Solveig Reinisch. Die Paten sollen auch nicht die Arbeit des Jugendamts ersetzen, sondern Eltern bei Unsicherheiten und Überforderungen zur Seite stehen. „Sie sind weder Super-Nannys noch Haushaltshilfen, sondern Navigatoren, die zuhören und bei Bedarf Kontakte zu Experten vermitteln.“ Das kann Kindesmisshandlung dann doch im Vorfeld verhindern, meint Solveig Reinisch. Und hofft: „Wenn sich herumspricht, dass die Paten nicht werten oder richten, sondern helfen, werden irgendwann alle mitmachen“. Überrascht war sie darüber, wie viele Menschen sich als ehrenamtliche Paten meldeten.

Wie eine „richtige“ Patin hat Johanna Engler der kleinen Tara schon ein Geschenkpaket mitgebracht. Das erhält jedes Kind zwei Wochen nach Geburt. Ein hochwertiger Kinder-Schlafsack gehört ebenso dazu wie Aufmerksamkeiten für die Mutter – beispielsweise ein Gutschein für eine Wohlfühl-Massage.

Das zweite Geschenkpaket gibt es nach der ärztlichen Untersuchung im 6. Monat. Am liebsten würde Solveig Reinisch für die Kinder, die nun bald sechs Monate betreut werden, Stühlchen besorgen, die mit ihnen „wachsen“. Dafür muss sie aber noch Sponsoren finden – für Geschenke kommt das Land nicht auf.

Zur Startseite