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Berlin: Die Ping-Pong-Guerilla kommt

Tischtennis ist wieder da – in Clubs auf Straßen und an den Spieltischen im Volkspark Friedrichshain oder dem Helmholtzplatz

An Enno kommt keiner vorbei. In Siegerpose und nicht mehr ganz nüchtern fordert er an der zentralen Tischtennisplatte auf dem Helmholtzplatz den nächsten Gegner. Keiner seiner Punk-Kumpels, die auf Parkbänken sitzen, hatte eine Chance. Die Show gehört ihm: Passanten bleiben stehen und staunen, dass man auch angetrunken den Ball treffen kann. „Jeden Tag ein bisschen die Kelle schwingen, hält fit“, sagt Enno in ihre Richtung und lacht blechern. Er hat außerdem gelernt, selbst bei heftigen Ausholbewegungen keinen Tropfen Bier zu verschütten, das er mit der Linken umklammert.

Wie ein Timo Boll, deutsches Tischtennis- Idol mit Schuljungen- Gesicht, sieht Enno beileibe nicht aus. Mit seinem abgetragenen, schwarzen Trägerhemd, der zerschlissenen Tarnhose und den wilden Tätowierungen ist er das genaue Gegenteil. Doch Vereine und Turniersiege sind eine andere Tischtennis- Welt, die Enno nicht interessiert.

Das Spiel mit dem kleinen Ball mausert sich zum neuen alten Trendsport. „Es ist definitiv im neuen Jahrtausend angekommen“, sagt Michael Heene vom Berliner Tischtennisverband. In Berlin gibt es kaum einen Flecken Grün, wo nicht eine dieser robusten Betonplatten steht, die im Sommer vom Jungvolk umlagert wird. Ein Kelle gibt’s schon für wenige Euro in der nächsten Resterampe. Wichtigste Anlaufstellen für Spieler, die etwas auf sich halten, sind der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg und der Volkspark Friedrichshain. Abends ist der Andrang so groß, dass man lange warten muss, um endlich an der Platte zu stehen.

Selbst an heißen Tagen, wo jede Bewegung die Schweißperlen auf die Stirn treibt, wird gespielt. Im Schatten der Bäume liefern sich Mischa Zwelsky und Sascha Böttcher im Park ein heißes Match. Der Ball fliegt minutenlang hin und her. „Tischtennis im Volkspark ist wie in einer großen Clique“, sagt Zwelsky. In den Abendstunden treffen sich zumeist dieselben Leute. Es zählt das Gemeinschaftserlebnis, Siege sind Nebensache.

Wenn der Berliner Tischtennisverband Geld für eine Werbekampagne hätte, wäre ein guter Slogan: „Ping Pong is coming home“. Denn hier gab es Ende des 19. Jahrhunderts den ersten deutschen Tischtennis- Verein. Damals war das Spiel noch höheren Gesellschaftskreisen vorbehalten. Heute ist Ping Pong wieder dermaßen in, forciert durch Start-Up-Firmen, die neben den Schreibtischen auch eine Tischplatte stehen hatten, dass nun sogar in den Clubs gespielt wird. Weil nahezu jeder mit dem Schläger umgehen kann, lässt sich Tischtennis wunderbar mit Partys verbinden. Als Berliner Spaß-Variante des chinesischen Nationalsports ist so Ping Pong Country entstanden.

Eine Gruppe von DJs zieht mit dieser Reihe durchs Nachtleben und will Kunst mit Kindheitserinnerungen verknüpfen. Sie stellen eine mit Western-Ornamenten bemalte Tischtennisplatte auf und spielen die ganze Nacht Country-Klassiker. Angekündigt auf skurrilen Flyern, die auch mal von Kellen schwingenden Affen illustriert werden, bekommt jeder Abend so seine sportlichen Momente. Ihr Publikum spielt dann stundenlang Rundlauf an der Platte.

Mit Spaß und spontanen Treffen haben auch die Leibesübungen zu tun, die eine andere Gruppe praktiziert. Die Ping- Pong- Guerilla, wie sie sich selber nennen, spielt überall, wo ihre Platte stehen kann – auf dem Bürgersteig, auf Plätzen oder Hinterhöfen. Musik bringt immer jemand mit, andere kümmern sich um das Bier. Mittlerweile gibt es auch ihre szenekompatible Variante für das Spielen in den Clubs: Ping Pop. Die Besten von ihnen machen es dann irgendwann wie Enno, kein Bier beim hektischen Rundlauf zu verplempern.

Die Tischtennis-Szene ist im Netz unter www.tischtennis.de zu erreichen, der Berliner Tischtennis-Verband: www.bettv.de , Ping Pong für Country-Fans: www.pingpongcountry.de , Partys der TT-Guerilla: http://pingpop.blockmachine.net

Henning Kraudzun

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