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Berlin: „Die Polizei muss bei Krawallen noch schneller reagieren“

Herr Glietsch, der Bush-Besuch lief ohne größere Ausschreitungen und mit geringen Sachschäden ab. Besser als der 1.

Herr Glietsch, der Bush-Besuch lief ohne größere Ausschreitungen und mit geringen Sachschäden ab. Besser als der 1. Mai, als Zurückhaltung die polizeiliche Devise war. Was ist denn nun eigentlich das bessere Konzept?

Man kann den Bush-Besuch und den 1. Mai nicht vergleichen. Die Tatsache, dass sich der amerikanische Präsident in der City aufhält, stellt an die Polizei ganz eigene Anforderungen. Dazu kommen die friedlichen Demonstrationen, bei denen aber auch gewaltbereite Problemgruppen mitlaufen. Und schließlich Krawallmacher in schwer einschätzbarer Zahl, die im Anschluss an die Demonstration versuchen, die Stadt unsicher zu machen, ähnlich wie am 1. Mai.

Der 1. Mai war dagegen also ein Kinderspiel?

Das sage ich keineswegs. Der 1. Mai ist eine andere Aufgabe, keine einfachere.

Woran liegt es, dass es am 1. Mai mehr Krawall und Zerstörung gegeben hat?

Ich sehe einen ganz wesentlichen Unterschied: die Örtlichkeiten. Es ist doch eine Frage, ob die, die nur auf Krawall aus sind, Häuserkampf in Kreuzberg spielen – dort wo sie jeden Hintereingang, jede Straße kennen und sich in ihrem Kiez mit der Polizei auseinander setzen. Oder ob sich Gewaltbereite wie beim Bush-Besuch der Polizei im Lustgarten auf einem ganz anderen Terrain gegenübersehen. Wir werden aber insgesamt darüber nachdenken, was man tun kann, um die Ausgangssituation für die Polizei zu verbessern.

Sie sehen also noch Optimierungsbedarf: Der 1. Mai muss kein Naturgesetz bleiben?

Ich halte es nicht für ausgeschlossen.

Welche ersten Konsequenzen ziehen Sie?

Wir prüfen insbesondere, wie man Randale möglichst schnell und konsequent unterbinden kann. Da werden wir sehen, was wir im nächsten Jahr noch geschickter machen können. Im Wesentlichen geht es darum, schneller zu werden. Darum, wie wir die Kräfte für den Zugriff, die geschlossenen Einheiten, schneller heranführen können.

Beim Bush-Besuch war zu beobachten, dass friedliche Demonstranten die Gewalttäter zurückhielten. Ein Hoffnungsschimmer?

Ja, und das kann man nur durch Strategien der Deeskalation unterstützen. Wenn die Veranstalter ihren Beitrag dazu leisten wollen, dass aus ihren Reihen keine Gewalt ausgeht, dann ist das eine Basis dafür, diesen Weg weiterzugehen. Dann kann man die Deeskalationsstrategie auch einer breiten Öffentlichkeit besser vermitteln.

Die Polizei kann also doch einiges tun, Gewalt – außer durch hartes Durchgreifen – schon im Vorfeld zu verhindern?

Selbstverständlich. Auch am 1. Mai haben wir die Erfahrung gemacht, dass aus der Demonstration heraus keine Gewalt begangen wurde. Bei diesem 1. Mai hatte die Polizei mehr Vertrauen in die friedlichen Absichten der Veranstalter. Dazu kommt eines: Je mehr friedliche Teilnehmer in einem Demonstrationszug sind, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass aus dem Zug heraus Gewalt begangen wird. Man kann auch keinen Zug von 10 000 oder 15 000 Teilnehmern einschließen und eng begleiten, ohne dass damit Stimmung erzeugt wird. Deeskalation bedeutet: Ich verhalte mich so, dass die Bereitschaft zur Friedlichkeit befördert wird. Wenn ich den Eindruck vermittle, die Polizei warte ständig auf den Ausbruch von Gewalt und begegnet jedem auch friedlichen Teilnehmer mit Misstrauen, dann bedeutet das, dass sich friedliche Teilnehmer durch dieses Misstrauen provoziert fühlen. Damit steigt auch die Bereitschaft zur Solidarität mit Gewaltbereiten. Es geht bei der Strategie der Deeskalation um die bewusste Differenzierung zwischen friedlichen und gewaltbereiten Veranstaltungsteilnehmern. Dort, wo es möglich ist.

Das klingt anders, als das was in der Vergangenheit aus der Polizeiführung zu hören war.

Die Führungskräfte der Berliner Polizei werden seit Jahrzehnten an derselben Ausbildungsstätte geschult wie die Führungskräfte aller anderen Länder. Ich bin sicher, dass sie dasselbe Verständnis von Deeskalation haben. Das ist doch keine abseitige Erfindung von Politikern. Das ist etwas, was in der polizeilichen Praxis entstanden ist und in der Lehre seit Jahren vermittelt wird.

Liegt es an Berlin, dass hier dennoch anders diskutiert wird?

Die Neigung, die Strategie der Deeskalation als politischen Kampfbegriff zu missbrauchen, war in Berlin möglicherweise stärker als in anderen Ländern. Ich schließe nicht aus, dass die Rückwirkungen in die Polizei hinein in Berlin ebenfalls stärker waren.

Gerd Neubeck, Ihr Vize, war schärfster Konkurrent für den Posten. Trübt das Ihr Verhältnis?

Ich bin ganz sicher, dass er Profi genug ist, um mit einer solchen Situation professionell umzugehen. Wenn er nicht das Gefühl hat „die haben einen genommen, der mir nicht das Wasser reichen kann“. Und da bin ich mir ganz sicher, dass das nicht der Fall ist.

Bleibt er Ihr Vize?

Da habe ich gar keinen Zweifel. Ich würde gerne lange mit ihm zusammenarbeiten.

Nach dem 11. September hat die Gewerkschaft der Polizei wiederholt erklärt: Die Aufgaben der Polizei in der Hauptstadt sind nicht mehr zu bewältigen. Sehen Sie das auch so?

Ich werde gemeinsam mit den dafür Verantwortlichen in der Behörde prüfen, wie hoch die Belastung tatsächlich ist. Man wird sehen, ob Entlastung geschaffen werden muss und wenn dann wie. Eines steht aber auch fest: Es gibt keine Polizei in Deutschland, die heute von sich sagen kann: „Wir sind optimal organisiert.“ Das weiß die Berliner Polizei auch gut. Immer wenn gesagt wird: „Wir haben nicht genug Personal“ muss jede Verwaltung überprüfen, ob sie das vorhandene Personal so effektiv wie möglich einsetzt.

Wird anderenorts genauso laut gejammert?

Ich habe schon den Eindruck, dass die Intensität und die Tonlage des Jammerns durchaus unterschiedlich ist. Das hat aber nicht unbedingt mit der Faktenlage zu tun.

Haben Sie Ihren Amtsantritt mit Bedingungen an den Senat verknüpft?

Ich habe weder Zusagen erbeten, noch habe ich welche bekommen.

Tragen Sie das SPD-Parteibuch ständig bei sich?

Ich müsste erst mühsam nach meinem Parteibuch suchen. Ich habe es in meinem Leben bisher ja nicht gebraucht.

Hat es Ihre Berufung zum Polizeipräsidenten befördert, wie vielfach vermutet wurde?

Nach meiner Überzeugung hat es die Sache weder erschwert noch erleichtert.

Sie hatten aber auch keine Bedenken, als Polizeipräsident unter Rot-Rot anzutreten?

Rot-Rot ist eine Koalition, die nach Wahlen vereinbart wurde. Ich sehe keine Veranlassung, ein Amt, das mir von einem Senat angetragen worden ist, der gemäß dem Wählerwillen gebildet wurde, auszuschlagen.

Das Interview führten Barbara Junge, Gerd Nowakowski und Werner Schmidt.

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