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Berlin: Die Post hat über den Zaun geguckt

BERLIN .Mit dem Notizblock in der Hand sind sie Anfang der 90er Jahre ausgeschwärmt.

BERLIN .Mit dem Notizblock in der Hand sind sie Anfang der 90er Jahre ausgeschwärmt.Hunderte von Rentnern und Pensionären katalogisierten die Gebäude im ganzen Land: Eigenheim, Garten, Mehrfamilienhaus ohne Grün, schlechter Zustand, große Wohnfläche, ruhige oder laute Lage.Das ist der umstrittene Datenbestand, den die Post jetzt ihren Werbekunden offeriert.Allein in Berlin sind 900 000 Gebäude erfaßt worden, wurde dem Tagesspiegel gestern bei der Ditzinger Firma Schober Direktmarketing erklärt.Nur Angaben über die Bewohner "haben wir leider nicht".

Ob Kinder im Haus sind oder Hunde, alte Leute oder junge - alles was die werbetreibende Wirtschaft so besonders gern wüßte -, das können die Ditzinger nach eigenen Angaben nicht bieten.Zwar würden sie solche Daten nur zu gerne bekommen, "sie sind auf dem Markt aber nicht erhältlich", wie Abteilungsleiter Günter Horst gestern sagte.

So ist die Post mit ihrem neuen Produkt "Postwurf spezial" auf die Angaben über Häuser und Wohnviertel angewiesen, die sie lediglich mit "mikrogeographischen" Daten aus der amtlichen Statistik koppeln kann - wie etwa Alters- oder Berufsstruktur.

Wer also in Berlin ständig Werbung von Dachdeckern oder Renovierungsfirmen erhält, kann damit rechnen, daß sein Haus einmal den Titel "schlechter Zustand" erhalten hat - und daß die Post mit der Anschrift nun Geschäfte macht.Sie hat die Daten von Schober gekauft.Erfaßt ist alles, "was man von außen sehen kann", sagt die Berliner Postsprecherin Barbara Scheil.Die Schober-Rentner hätten damals "über den Zaun geguckt.Solche Daten könnte jeder sammeln".

Einig sind sich alle, die Post AG in Bonn, die Berliner Sprecherin Scheil und Günter Horst in Ditzingen: Namen von Postkunden seien in den Datensätzen nicht enthalten.Und die Briefboten der Post hätten mit der Gebäude-Statistik nicht das geringste zu tun."Absoluter Humbug", sagt Horst zu allen Behauptungen, die Briefträger hätten irgendwann an der Sammlung des Werbe-Materials teilgenommen."Unsere Zusteller notieren gar nichts", sagt Scheil dazu."Sie haben mit der ganzen Aktion nichts zu tun".

Briefträger haben lediglich ein selbst erstelltes und aktualisiertes Mieterverzeichnis, sagt Betriebsrat Stephan Täuscher im Briefverteilzentrum Mitte: "Zieht einer weg, streicht er ihn, weitere Daten werden nicht erhoben".Auch Täuscher hat nie gehört, daß Briefträger ihre Adressaten je zu Werbe-oder anderen Zwecken bespitzelt hätten.

"Was auch jeder Spaziergänger erheben kann", wie Schober-Manager Horst gestern sagte (und was vielleicht auch Einbrecher gerne wüßten) - das ist also bei der Post im Großmaßstab in das Postwurf-Marketing eingeflossen.Wer mithin in einem Einfamilienhaus mit Garten wohnt, in guter Wohngegend, die vielleicht überaltert ist, darf sich über Wurfsendungen für teure, elektrische Rasenmäher nicht wundern.Ist die Gegend jünger, wird es eher teure Elektronik sein.Sind es kinderreiche Hochhäuser: dann womöglich Baby-Nahrung.

HANS TOEPPEN

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