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Berlin: Die Rathauskolchose und der heiße Brei

In Schöneberg saßen Regierender Bürgermeister, Parlament und die Presse unter einem Dach – und nichts blieb verborgen.

Der Autor war von 1981 bis 1984 Regierender Bürgermeister von Berlin.

Gegen Ende der Siebziger Jahre kam ich von Bonn nach Berlin – als Spitzenkandidat der CDU für die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Noch waren keine vierundzwanzig Stunden vergangen, da begegnete ich bereits auf eine für mich unvergessliche und dramatische Weise der Feder von Brigitte Grunert. Denn die erste Zeitung, die ich zu Gesicht bekam, hatte die Schlagzeile: „Heinrich Lummer will die Vierte Partei gründen." Verfasserin des Artikels war Brigitte Grunert.

Das war ein schwerer Schuss vor meinen Bug. Sollte ich gleich wieder an den Rhein zurückkehren? Aber es war natürlich nicht ihre Schuld, sondern im Gegenteil ihr Verdienst. Dank ihrer Kenntnisse und der Kraft ihres Urteils hatte sie mich mit Gefahren vertraut gemacht, die für mich auf meinem neuen Weg im Land Berlin von elementarer Bedeutung waren. Später kam es überdies zu einer verlässlichen Zusammenarbeit mit Lummer, dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus und späteren Innensenator.

Aber es war Brigitte Grunert, die uns nicht erlaubte, an den Realitäten vorbeizusehen. Wer seinen journalistischen Beruf so gewissenhaft und unmissverständlich ausübt, zwingt uns Politiker dazu, mit offenem Visier zu streiten, anstatt um den Brei herumzureden. Ohne unnötige Lautstärke hat Brigitte Grunert dank ihres Charakters und ihres untrüglichen Verstandes eine erzieherische Wirkung auf uns gehabt. Meine ersten Erfahrungen mit ihr sind über die Jahre hinweg immer die gleichen respektvollen geblieben.

Die Lage im Schöneberger Rathaus war einmalig genug. Drei von den „Vier Gewalten" arbeiteten unter einem Dach, die Legislative mit dem Abgeordnetenhaus und den Fraktionen, die Exekutive mit dem Regierenden Bürgermeister und seiner Senatskanzlei und die Medien in der so genannten „Rathauskolchose". Alles war transparent, alles unter Kontrolle. Wer wann zum Dienst kam, wer wen besuchte, mit welchem Gesicht er das Haus wieder verließ, alles lag für den zutage, der Augen hatte zu sehen und zu urteilen.

Ständig gab es in dieser Atmosphäre Chancen zur Indiskretion, zu oberflächlichen Kommentaren, zu jeder denkbaren Form von Kungelei. Das alles focht Brigitte Grunert nicht an. Natürlich hatte sie Macht und Einfluss. Ihre Kommentare wurden gefürchtet, ihre Nähe gesucht. Aber sie war und blieb ein Fels der Unabhängigkeit, ein Turm in der Schlacht. Nie suchte Brigitte Grunert das Rampenlicht. Immer wusste sie wichtig von unwichtig zu unterscheiden. Stets behielt sie die Übersicht. Für jeden Unterwanderungsversuch blieb sie gänzlich unzugänglich.

Zugleich war sie menschlich verständnisvoll, eine kluge, humane, unabhängige, großartige Journalistin. Berlin ist mit Brigitte Grunert gut gefahren und hat Grund zu bleibender herzlicher Dankbarkeit.

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