zum Hauptinhalt

Berlin: Die Ruhe nach dem Sturm

Vor einem Jahr tobte ein Orkan über die Insel Schwanenwerder. Auf dem Zeltplatz starben zwei Jungen. Jetzt wird das Areal verkauft

Die Wurzeln einer alten Weide ragen mannshoch in den Himmel, unten am Ufer türmen sich abgerissene Äste zu einem riesigen Berg. Ein Jahr, nachdem das Sturmtief „Anita“ über Berlin hinweg zog, sind die Spuren seiner Verwüstung auf dem Zeltplatz Schwanenwerder noch immer deutlich zu sehen. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 152 Stundenkilometern tobte der Orkan über den Wannsee. Innerhalb von einer Stunde wurden am 10. Juli vergangenen Jahres acht Menschen von umstürzenden Bäumen oder umherfliegenden Gebäudenteilen erschlagen. Auf dem südöstlichen Ende der Insel Schwanenwerder wütet er besonders verheerend. Am Ufer begraben zwei Weiden den 14-jährigen Mike aus dem Köpenicker Ortsteil Müggelheim und den 15-jährigen Sascha aus Frankfurt (Main). Beide Jungen nehmen an einem einwöchigen Zeltlager von Jugendfeuerwehren teil.

Alfred Schilling arbeitet in der Werkstatt, als der Wind in die Weiden fährt. Der ehrenamtliche Kassenwart des Jugenderholungs- und -freizeitfördervereins Schwanenwerder (Jeff) hört ein Prasseln, denkt an Regen und sieht schließlich, dass es Sand ist, der mit voller Wucht auf seiner Hütte niedergeht. „Die Robinie vor meiner Tür ging wie eine Peitsche hin und her“, erinnert sich der 52-Jährige. Der einzig sichere Platz auf der Insel ist der wenige Meter entfernte Bunker: Mit Kindern und Erziehern flieht Schilling, groß, hager, Schnäuzer, in das unterirdische Dunkel.

Berlins Feuerwehrchef Albrecht Broemme rast derweil in Richtung Unglücksstelle. Gemeinsam mit seiner Tochter hatte er den Tag auf der Insel verbracht, war dabei, als Bundesinnenminister Otto Schily dem verunglückten Frankfurter Jungen einen Preis überreichte. „Ein toller, ein heißer Tag“, erinnert er sich. Am Abend jedoch wandelt sich das Wetter binnen Minuten. Kurz nachdem die schwarze Gewitterfront über den Wannsee herangerückt ist, versperren bereits umgestürzte Bäume die Zufahrt zur Insel. Die Feuerwehrleute können nicht helfen. „Ein Alptraum“, sagt Broemme, der sich sich zwischen den Bäumen durchhangelt und dem verunglückten Sascha schließlich die Augen zudrücken muss. Die Erinnerungen daran belasten selbst einen Routinier wie Broemme: „Es gibt Momente, da sind sie mit sich und der Welt ziemlich allein.“

Broemme und seine Kameraden haben ihre Lehren aus dem Unglück gezogen. Sie verabredeten inzwischen mit den Wetterdiensten, dass Sturmprognosen künftig genauer und geografisch detaillierter ausgegeben werden. Bei den Kameraden der freiwilligen Wehren schrillt der Alarm seitdem gleich nach der Unwetterwarnung – umgestürzte Bäume sollen nicht noch einmal verhindern, dass die Retter zu ihrer Zentrale kommen.

Schilling blickt bitter auf das Unglück zurück. Nicht wegen der beiden toten Jungen – „Das war eine Naturkatastrophe. Dafür kann niemand was.“ Sondern wegen seiner vergeblichen Bemühungen, den Zeltplatz wiederaufzubauen. Mit seinem Verein, mit vielen Freiwilligen von Feuerwehr und THW, hat er in vier Großeinsätzen mehrere Containerladungen abgerissener Äste und umgestürzter Bäume vom Platz gekarrt. Umsonst. Noch immer müssten rund 100 Bäume gefällt werden, um den Platz zu sichern. Der Bezirk, der das Gelände bereits seit langem abgeben will, macht deshalb seine Pläne früher war. Für ein Gelände, das ohnehin verkauft werden soll, sind die Fällkosten zu hoch, heißt es. Der Zeltplatz, auf dem Kinder seit den 50er Jahren ihre Sommer verbrachten, soll ab Herbst verkauft werden.

Frauke Herweg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false