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Berlin: Die Ruine ist geflickt

Von Holger Wild Wollte da jemand Antoni Gaudí imitieren? Dem Tacheles wär’s ja zuzutrauen.

Von Holger Wild

Wollte da jemand Antoni Gaudí imitieren? Dem Tacheles wär’s ja zuzutrauen. An seiner Rückfront, links neben dem Torbogen, krümmt sich grauer Beton, springt in platten, unregelmäßigen Wülsten zwischen den rechtwinkligen, hohen und neuen Aluminiumfenstern hervor. Wie ein Klischee der fließenden, „organischen“ Formen des katalanischen Jugendstil-Architekten Gaudí – und doch ohne jede Verbindung dazu. Es handelt sich um Überreste der früheren Geschossdecken eines Gebäudeteiles, der im Krieg zerstört wurde.

Schroff ragten die Abbruchkanten seit über fünfzig Jahren ins Leere, zwischen ihnen klafften leere, offene Räume. Man hätte sie entlang der heutigen Außenwand „gerade abschneiden können“, sagt Carl-Georg Schulz, der den Tacheles-Verein bei den Bauarbeiten am Haus beraten hat. „Doch das Tacheles steht unter Denkmalschutz und sein Erscheinungsbild sollte so wenig wie möglich verändert werden. Also haben wir die Deckenreste mit Spritzbeton umkleidet. So können sie nicht mehr bröckeln oder brechen.“ Spritzbeton deshalb, weil er in seiner Unregelmäßigkeit „unfertig aussieht“ und damit der Grundidee des „Flickwerks“ entspricht, eines „Flickwerks von Kontrasten“, wie Schulz sagt, als das sich das Tacheles nach seiner Modernisierung zeigen soll.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2000 begannen nach jahrelangem Streit zwischen dem Tacheles-Verein als Nutzer und der Fundus-Gruppe als neuem Eigentümer des Gebäudes und der umliegenden Grundstücke des künftigen „Johannisviertels“ die Baumaßnahmen. Die Aufgabe für Schulz und den Fundus-Projektleiter Karl-Heinz Merschmeier lautete, die Ruine dieses ehemaligen Kaufhauses konstruktiv zu sichern – die Einsturzgefahr etwa des jahrelang gesperrten Torbogens zu bannen – und den (Weiter-)Betrieb von Kino, Theater, Ateliers und Ausstellungsflächen zu ermöglichen. Dabei sollte nach Absprache mit dem Denkmalschutz die Originalsubstanz möglichst unverändert erhalten bleiben – so heruntergekommen sie sich auch zeigt. Und neue Bauteile sollten eindeutig als solche zu erkennen sein; sich also nicht als alt ausgeben oder den ursprünglichen Stil auch nur nachahmen.

So ist jenseits des Torbogens ein komplett neuer, schmaler Flügel in anspruchsloser Gebrauchsarchitektur entstanden, der Projekträume enthält. Auf der entgegengesetzten Seite des Hauses ist an den ersten und zweiten Stocke ein Betonquader angesetzt worden, der die Belüftung, Technik und Garderoben des Theatersaals aufnimmt. Die Brücke im Torbogen – die es auch früher schon gab und die heute als Fluchtweg fürs Kino dient – zeigt sich in Stahl und Glas kaum eleganter, als käme sie aus dem Baumarkt. Denn auch dies sollte die Modernisierung noch sein: so kostengünstig wie möglich. Schließlich überlässt Fundus dem Verein das Gebäude auf mindestens zehn Jahre für die symbolische Miete von einer Mark im Monat (und erhofft sich dafür eine Belebung seines geplanten Johannisviertels sowie dessen bessere Vermarktung mit dem Argument unmittelbarer Nähe zur „kreativen Subkultur“).

Rund fünf Millionen Euro hat Fundus in die Arbeiten gesteckt, und zu „98 Prozent“ sei man fertig, sagt Merschmeier, nur die „Steigleitung trocken“ fehle noch. In vier Wochen soll Bauabnahme sein. Dann sind nur noch kleinere Arbeiten an der Natursteinfassade zur Oranienburger Straße zu erledigen, die deren Bild nicht verändern werden.

Das Flickwerk der Kontraste – im Inneren ist es noch deutlicher zu sehen als von außen. Da finden sich nietenverzierte eiserne Treppenhaustüren und dahinter grüne Meißner Glaskacheln, beides aus der Bauzeit des früheren Kaufhauses, ebenso wie ein jüngst eingebauter Fahrstuhl. Unter die Decken sind teilweise zusätzliche Träger eingezogen und mit Spritzbeton ummantelt worden. Die Haustechnik wurde komplett erneuert und das zweite Untergeschoss aus statischen Gründen mit Beton ausgegossen. In der neuen zweigeschossigen Atelierhalle über dem Torbogen läuft von Backsteinwand zu Backsteinwand eine Brücke aus Sichtbeton. Der „Charme der Ruine“ ist, wie gewünscht, erhalten geblieben, nun ergänzt nur um das unbedingt Notwendige.

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