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Besorgt. Die Familie Herrmann hat ihr Vermögen in das Haus gesteckt.

© Madlen Haarbach

Die Siedler von Neukölln: Pächter fürchten um ihre Eigenheime

Erbbaurecht soll Bodenspekulation verhindern. Doch in Neukölln sollen Grundstücke verkauft - oder zu exorbitant erhöhten Preisen gepachtet werden.

87 Familien aus den Neuköllner Wohnsiedlungen Neue Heimstatt (Buckow) und Am Vogelwäldchen (Rudow) fürchten die Verdrängung aus ihren Eigenheimen. Ihre Häuser stehen auf städtischem Grund und werden seit Jahrzehnten über das Erbbaurecht an die Bewohner verpachtet. Nun befürchten die jedoch, dass ihnen im wörtlichen Sinne der Boden unter den Füßen entzogen werden könnte. Denn die Grundstücke sollen zu Konditionen verpachtet werden, die den aktuellen Marktbedingungen entsprechen – oder von den Bewohnern direkt gekauft werden. Beides ist für viele Familien finanziell nicht leistbar.

„Die Leute sind hier in dem Bewusstsein eingezogen, für immer bleiben zu dürfen“, sagt der 69-jährige Dieter Herrmann. Seit 25 Jahren wohnt er mit seiner Familie in der Siedlung Neue Heimstatt.

Die beiden Siedlungen entstanden in den 50er Jahren mit einem sozialen Konzept. Die Einzugsbedingung: Ein Wohnberechtigungsschein und mindestens zwei Kinder. Die Häuser wurden als Ausbildungsprojekt von Lehrlingen erbaut und waren häufig kaum mehr als Baracken. Die Siedler pachteten die Grundstücke von der Stadt und waren für den Rest selbst zuständig.

Siedlungen sind fast autark

„Das ist hier fast autark“, sagt Herrmann. Wenn Leitungen neu verlegt, die Straße saniert oder das Haus an die Kanalisation angeschlossen werden musste, zahlten die Siedler. Viele investierten, wie die Familie Herrmann, ihre gesamten Ersparnisse in die Häuser und nahmen zusätzliche Kredite auf. Herrmann sanierte das Haus in Eigenregie und baute es aus. „Hier steckt neben viel Geld und unheimlich viel Arbeit und Herzblut drin“, sagt er. Wenn ihm gegenüber nicht mündlich stets betont worden wäre, dass die Pachtverträge „immer verlängert“ würden, hätte er das nie gemacht, sagt er.

Viele Anwohner betrachten ihre Häuser als ihr Lebenswerk. Einige wohnen seit dem Kleinkindalter in der Siedlung, haben die Häuser von ihren Eltern geerbt. Die aktuellen Pachtverträge laufen bis 2031 (Neue Heimstatt) beziehungsweise 2033 (Am Vogelwäldchen).

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2006 trat der Bezirk Neukölln auf die Siedler zu: Ob sie sich vorstellen könnten, ihre Grundstücke zu kaufen. Rund die Hälfte der Siedler signalisierte Interesse, kannte die Rahmenbedingungen jedoch nicht. „Viele dachten, wir bekommen die Grundstücke für einen Appel und ein Ei“, sagt Herrmann. Die tatsächlichen Kaufpreise wurden erst drei Jahre später verkündet – und waren für viele ein Schock.

In den kommenden Jahren kaufte knapp die Hälfte der Siedler die Grundstücke. Viele hätten jedoch nur aus Panik gehandelt, sagt Interessenvertreter Martin Herrmann – sie hätten befürchtet, sonst das Grundstück zu verlieren. Neue Pachtverträge seien nicht im Gespräch gewesen. Dabei sehen die alten Verträge eine Kaufoption gar nicht vor.

Kaufpreise stiegen massiv an

Nach einem plötzlichen Verkaufsstopp 2013 stiegen die Kaufpreise massiv an: Nach einer Gesetzesänderung wurden sie an die tatsächlichen Bodenwerte angepasst. 2017 bot der Bezirk den Siedlern dann doch eine Pachtverlängerung an – allerdings ebenfalls gekoppelt an die Bodenwerte.

Insgesamt 87 Familien können weder die erhöhten Pachtgebühren noch die Preise für den Kauf der Grundstücke finanzieren. Zwar sind die aktuellen Pachtverträge nicht in Gefahr – doch zu ihrem Auslaufen fürchten die Siedler die Enteignung ihrer Grundstücke. Das Bezirksamt verweist darauf, dass es in dem Punkt keine eigene Regelungshoheit habe. Die Befugnis liege bei Senat und Abgeordnetenhaus.

Die Senatsverwaltung für Finanzen wiederum erklärt, dass aufgrund der Landeshaushaltsordnung eine Vergabe der Grundstücke unter Verkehrswert nicht zulässig sei. „Das Land Berlin verkauft Erbbaurechte grundsätzlich gar nicht mehr an die Erbbaurechtnehmer“, sagt Sprecherin Eva Henkel. Bei den beiden Siedlungen „Neue Heimstatt“ und „Vogelwäldchen“ habe der Verkauf jedoch bereits 2008 begonnen, war dann ausgesetzt und sei nunmehr wieder aufgenommen worden. Dies habe im Land Berlin Ausnahmecharakter, sagt Henkel.

Bezirksbürgermeister zeigt sich verständnisvoll

Gaby Gottwald, die für die Linkspartei im Ausschuss für Stadtentwicklung im Abgeordnetenhaus sitzt, sieht den Fall etwas anders. In der Senatsverwaltung für Wohnen sei das „Kuddelmuddel“ so nicht bekannt gewesen, sagte sie dem Tagesspiegel. Die Vorgänge würden gegen die aktuelle Politik des rot-rot-grünen Senats verstoßen, der die Privatisierung von landeseigenen Grundstücken verhindern wolle. „Da läuft offenbar ein alter Prozess weiter, und keiner hat es bemerkt“, sagt sie.

Aktuell sei ihrem Informationsstand nach vorgesehen, das Gebiet neu zu „clustern“ – also die Grundstücke auf ihre gegenwärtige und zukünftige Nutzungsperspektive hin zu untersuchen. Bei den Neuköllner Siedlungen sei dies offensichtlich bislang nicht passiert – oder nicht ordentlich gemacht worden, so Gottwald. Aktuell kümmere sich Sebastian Scheel, Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen, persönlich darum, das Chaos zu ordnen. Die Behörde für Stadtentwicklung setze sich auch gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen und der BIM dafür ein, die Privatisierung der Grundstücke zu stoppen und die Pachtverträge sozialverträglich zu verlängern.

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) zeigt sich verständnisvoll: „Ich verstehe, dass einige Siedler die aktuellen Preise für die Grundstücke nicht aufbringen können. Einerseits gilt natürlich für alle in der Stadt das gleiche Recht, wonach das Land Berlin Boden zum tatsächlichen Verkehrswert verkaufen muss. Andererseits darf niemand, der die Siedlungen vor über 50 Jahren mit aufgebaut hat, in einem hohen Alter von dort verdrängt werden.“ Und verspricht: „Deshalb will ich eine Lösung mit den Betroffenen finden und will mich noch im Frühling mit ihnen treffen."

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