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Berlin: Die Siegesallee: Des Kaisers neue Puppen

Wir dürfen uns Otto Normalverbraucher als gebildeten Mann vorstellen. Ausgehungert zwar, Kriegsheimkehrer wie so viele damals, aber seine Kurfürsten wusste er historisch korrekt zu grüßen, in strammer militärischer Haltung oder ihnen huldigend unter frohem Schwenken der Mütze, wie es der jeweiligen Epoche eben anstand.

Wir dürfen uns Otto Normalverbraucher als gebildeten Mann vorstellen. Ausgehungert zwar, Kriegsheimkehrer wie so viele damals, aber seine Kurfürsten wusste er historisch korrekt zu grüßen, in strammer militärischer Haltung oder ihnen huldigend unter frohem Schwenken der Mütze, wie es der jeweiligen Epoche eben anstand. Mit dem Spaziergang des spindeldürren Gert Fröbe durch die zertrümmerte Siegesallee, 1948 in R.A. Stemmles "Berliner Ballade", kamen die marmornen Herrscher Brandenburgs und Preußens noch einmal zu Kinoehren. Anderenorts überlegte man sich da schon emsig, wie man die 32 adligen Herren samt ihrem Gefolge am leichtesten loswerden könnte. Besonders Sowjets und Franzosen waren fürs Abräumen, der Magistrat hatte im Jahr zuvor bereits einen entsprechenden Beschluss erlassen, der auch im Tagesspiegel begrüßt worden war.

Mittlerweile wird über den von Wilhelm II. gestifteten "Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt Berlin" nicht mehr ganz so rigide geurteilt. Zwar ist noch niemand auf die Idee gekommen, die Siegesallee zu rekonstruieren, sei es an originalem Ort zwischen Königsplatz (heute Platz der Republik) und Kemperplatz, noch am Großen Stern, wohin Speersche Stadtplanung die Puppenallee samt Siegessäule 1938 verbannt hatte. Aber von Grabsteinhändlern und Bildhauern will man die übrig gebliebenen, mittlerweile vor allem im Lapidarium am Landwehrkanal lagernden Figuren ganz bestimmt nicht mehr recyceln lassen, sieht sie vielmehr als wertvolle historische Dokumente, die künstlerisch oft besser waren als ihr Ruf. Immerhin gehörten Bildhauer wie Reinhold Begas und sein Bruder Karl zu ihren Schöpfern, ebenso Alexander Calandrelli oder August Kraus, der Vater des "Männeken Pis" in Brüssel.

Auch dem Autor Jan von Flocken gelingt in seiner Würdigung der Siegesallee, bei aller Distanz zu seinem monumentalen Thema, ein moderner, differenzierter Blick auf die von Anfang an umstrittene Staatskunstmeile. "Wer hat das größte Kunstverständnis?" - "Wer am schnellsten durch die Siegesallee läuft!" Unter Künstlern und Intellektuellen war das bald ein gängiger Witz, nachdem die steinernen Gesellen zwischen 1898 und 1901 nach und nach ihren Platz eingenommen hatten. Volkes Stimme sekundierte und sprach von "Marmora-Meer", "Nippes-Avenue" oder eben "Puppenallee", doch trotz aller respektlosen Schnodderigkeit avancierte die Allee bald zu einer Attraktion allererster Klasse, für ebenso belehrende wie erholsame Spaziergänge bestens geeignet. Und mancher Familienvater wird seine Sprößlinge mit profunden historischen Kenntnissen zutiefst beeindruckt haben.

Der Aufbau des Buches ist ebenso simpel wie einleuchtend. Am Anfang steht eine Einführung in die Geschichte der Siegesallee, knapp gehalten, doch detailreich. So fehlt weder Heinrich Zilles Beitrag - er saß seinem Freund August Kraus für das Bildnis des Ritters Wedigo von Plotho Modell - noch der Aufsatz, den ein Oberlehrer des Joachimsthalschen Gymnasiums im Mai 1901 seinen Schülern auftrug: "Die Beinstellung der Denkmäler in der Siegesallee". Zufällig erfuhr der Kaiser davon und ließ sich vier Aufsätze vorlegen, darunter einen, den der Lehrer mit "Kaum genügend" abgeurteilt hatte. Wilhelm war nicht dieser Meinung und notierte: "Für einen Unterprimaner auffallend vernünftig für ein solches Thema!"

Dem historischen Überblick folgt der Spaziergang von Denkmal zu Denkmal, angefangen bei Albrecht dem Bären bis zu Wilhelm I. Knapp werden die Biographien der Fürsten beschrieben, ergänzt durch die der beiden ihnen jeweils zugeordneten Nebenfiguren und eine kurze Vorstellung des Bildhauers - so wird die Lektüre zur Geschichtsstunde, ganz im Sinne von Willi Zwo. Es gibt eine Zeittafel und zum Schluss eine Liste der heutigen Standorte. Demnach müsste Joachim I. Nestor wieder über sein Gefolge verfügen. Den Kopf einer der beiden Nebenfiguren hatte jahrzehntelang der alte Fritze Luft auf dem Balkon stehen, als Weihnachtsgeschenk zweier "tollkühner Freunde". Ist also der Untertan vom Balkon zu seinem Landesherren zurückgekehrt? Anruf bei Uta Lehnert, die vor zwei Jahren mit einem umfangreichen Buch zur Siegesallee herauskam: Nein, ist er nicht.

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