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Berlin: Die Spur der Steine

Demolierte Autos, kaputte Scheiben: Die Geschädigten der Randale sind fassungslos – und bitten Körting zur Kasse

1. MAI: EINE SCHADENSBILANZ

Am Morgen danach versucht Michael Kaber, 42, allein erziehender Vater, zu retten, was noch zu retten ist. Vor dem Seat-Autohaus in der Mariannenstraße steht sein zertrümmerter Opel Corsa. Kaber holt den Kindersitz, einen Werkzeugkasten, eine Plastiksonnenblume und einige Decken aus dem zertrümmerten Fahrzeug. Es war nach 20 Uhr am Maifeiertag, als randalierende Jugendliche anfingen, seinen Opel umzukippen, darauf herumzutrampeln und die Scheiben einzuschlagen. Michael Kaber, der in der Oranienstraße wohnt, hatte sein Auto extra ein paar Straßen weiter in der Mariannen-, Ecke Skalitzerstraße vor dem Autohaus geparkt. „In den vergangenen Jahren war es in dieser Ecke ruhig. Außerdem ist hier kein Halteverbot“, sagt er. Am Abend saß er mit seiner siebenjährigen Tochter Michelle vor dem Fernseher und traute seinen Augen nicht. „Immer wieder sah ich die Bilder von Jugendlichen, die mein Auto demolierten.“ Er rannte sofort nach draußen, wollte zu seinem Wagen. „Aber es kam eine ganze Horde Menschen auf mich zugelaufen. Da hab’ ich mich natürlich auch lieber aus dem Staub gemacht.“ Nun hofft er, dass die Versicherung zahlt. „Ich bin arbeitslos. Mehr als dieses alte Auto kann ich mir nicht leisten.“

Gegenüber von Kabers verwüstetem Wagen sitzt Günter Füllgraf, Verkaufsleiter im Seat-Autohaus, an seinem Schreibtisch und schaut sich im Internet Fotos an. Motiv: vor dem Autohaus brennende Wagen. Abgesehen von Kabers weißem Corsa hatten sich die Randalierer nämlich auch noch über einen blauen Golf und einen silbernen Sharan hergemacht. „Ich hab’ das alles heute Morgen erst im Fernsehen gesehen, und war völlig geschockt, als unser Autohaus plötzlich in den Nachrichten auftauchte“, sagt er. Die Fassade des Firmengebäudes ist von den Pflastersteinwürfen ruiniert, die Scheiben im ersten Stock sind zerborsten.

„Während der Randale stand die Polizei erst einmal untätig herum“, sagt Füllgraf. „Vorläufig können wir noch nichts unternehmen“, habe ihm ein Beamter geantwortet, als er die Polizei während des Tumults gebeten hatte, endlich einzuschreiten. Nun will der Chef des Autohauses gegen die Polizei Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung und Strafvereitelung im Amt erstatten. Außerdem will man Innensenator Ehrhart Körting zur Kasse bitten, wenn die Versicherung nicht zahlen sollte. „Der Senat muss für die Schäden aufkommen. Aus unserer Sicht war die Straße zum Abschuss freigegeben. Hier sollten sich die Jugendlichen wohl austoben. Die Polizei hat sich zu passiv verhalten“, sagt Günter Füllgraf.

Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, das mit 30 Demonstrationsbeobachtern im Einsatz war, darunter auch Peter Grottian, Politik-Professor an der Feien Universität, sieht das ganz anders: „Die Polizei hat keine Gewaltsituation provoziert, aber bei ihrem Eingreifen vereinzelt Passanten rüde und gewaltsam an die Seiten der Straße gedrückt.“ Ihr Fazit: Es seien „vereinzelte Sachzerstörungen, Gefährdungen von Personen und polizeiliche Übergriffe“ festzustellen. „Erst nach den Demonstrationen haben wenige Jugendliche mit Flaschen und wenigen Steinen Polizeibeamte beworfen und wenige Autos in Brand gesetzt.“

Günter Füllgraf kann über ein solches Fazit nur den Kopf schütteln. „Das ist eine Unverschämtheit“, sagt er. Seine Mitarbeiter und er hätten allein in der Computerschule, die sich in der ersten Etage des Hauses befindet, 240 Pflastersteine gefunden.

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