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Die wahre Strahlkraft der Berlinale reicht über einzelne Filme und deren Stars oder Sternchen bei Weitem hinaus.

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Die Stadt als Bühne: Von der Berlinale lernen

Die wahre Strahlkraft der Berlinale reicht über einzelne Filme und deren Stars oder Sternchen bei Weitem hinaus. Die Stadt wird zur internationalen Bühne. Für ein völlig gemischtes und fast unerschöpflich neugieriges Publikum. Ein Kommentar.

Die roten Teppiche werden jetzt eingerollt. Aber was auf ihnen abläuft, ist ja nur die Show, die zum Business jedes Filmfestivals gehört.

Die wahre Strahlkraft der 65. Berlinale reicht über einzelne Filme und deren Stars oder Sternchen bei Weitem hinaus. Es ist indes kein magischer „Glanz von innen“, wie Rilke einst die Armut (die er nicht kannte) als tiefere Anmut besang. Doch liegt’s auch nicht am vermeintlichen Glamour, den vor allem der Name Hollywood signalisiert.

Berlin leuchtet im sonst meist trüben Monat Februar, weil dieses Filmfest als Publikumsfestival einmal mehr ein Weltfestspiel war. Es mag bei der Berlinale 2015 nicht das unbestrittene Meisterwerk gegeben haben wie im letzten Jahr Richard Linklaters Lebenssaga „Boyhood“ oder 2004 Fatih Akins furioser Leidenschaftsthriller „Gegen die Wand“. Aber mit Filmen wie Jafar Panahis „Taxi“, seiner mit den Goldenen Bären gekrönten Fahrt durch Teheran heute und für die Meinungsfreiheit jederzeit, oder mit Andreas Dresens rauer, romantischer Jugendballade „Als wir träumten“ aus dem Leipzig der Wendezeit hat diese Berlinale gerade in Tagen der weltweiten Unruhe gezeigt, wie Kunst und politisches Bewusstsein Zeichen setzen können.

Berlinale als Beispiel gelebter Globalisierung

Bisweilen wird von Ironikern über den kasachischen Dreistundenfilm mit koreanischen Untertiteln gespottet. Das ist ein Scherz, mindestens was die Untertitel betrifft. Doch auch Kurioses darf sein. „Curious“ heißt auf Englisch: neugierig. Viel wichtiger, viel richtiger nämlich ist, dass tausend, zweitausend, dreitausend Zuschauer in den durchweg ausverkauften Vorstellungen plötzlich Geschichten etwa von mittelamerikanischen Indigenas sehen – in deren bedrohter Sprache und Kultur. Und plötzlich erkennen wir: Auch sie sind ein Spiegel unserer eigenen Welt (und Weltpolitik).

Zudem kommen die Filmemacher, die Geschichtenerzähler, die Darsteller nach Berlin. Manche sogar in ihrer farbenfrohen Tracht – und es ist das keine exotische Folklore. Kein Karneval. Sondern spielerisches Selbstbewusstsein. Oder dies: Läuft ein Film aus Vietnam und spielt im Dschungel des Mekongdeltas, wo es auch Handys gibt und Sex, Drugs and Rock’n’Roll, dann glaubt man sich im Berlinale-Palast dank der vielen Gäste, Gesichter, Gespräche ein wenig wie in Saigon oder Hanoi. In der Welt zu Hause. Nicht nur zu Gast wie beim längst einheimischen Nudelsuppen-„Vietnamesen“.

Die Berlinale ist so auch in ihrem Renteneintrittsalter ein Beispiel der positiven, gelebten Globalisierung. Die Stadt wird zur internationalen Bühne. Für ein völlig gemischtes und fast unerschöpflich neugieriges Publikum. Weltfestspiele, mit immer neuen Disziplinen, diesmal als Attraktion die neuen Fernsehformate im „Special Series“-Programm. Es geht da geradezu olympisch zu.

Die Berliner Olympia-Bewerbung könnte davon lernen

Von diesem Spirit könnte zum Beispiel die Berliner Olympia-Bewerbung eine starke Dosis gebrauchen. Ein Fest ist ein Fest. Aber es sollte immer auch in den Alltag mit ausstrahlen. Und hier leuchtet Berlin gerade sehr funzelig. Schattengrau. Da wäre ein kräftiger Anhieb nötig. Stattdessen grassiert das Muffelige, Schlechtgelaunte, Bedenkenträgerische. Als wäre Olympia nicht eine riesige Chance, gerade für die meist als Gegenrechnung aufgemachte marode Infrastruktur. An ihr ändert sich nur wirklich was, wenn Berlin wieder ein Ziel hat. Eine die Lethargie beflügelnde Idee von sich – und der Welt. Arm aber sexy, das ist mehr als 25 Jahre nach der Wende ein Auslaufmodell. Und eine Ausrede.

Deutschland und Berlin haben ungeheuer viel von der Fußball-WM 2006 profitiert. Ein Menschenalter nach den Hitler-Spielen von ’36 die Stadt wieder als weltoffene Bühne zu präsentieren, ohne Größenwahn, nicht luxuriös, aber auch nicht pampig und prollig, das wäre großes Kino. Olympia meinte ursprünglich das Zusammenspiel von Athletik und Kultur. Das Stadion ist schon da und auch die Kultur, weit über die Berlinale hinaus. Es bräuchte nur die Begeisterung, die hier die guten Geister weckt.

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