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Ein schillerndes Berlin-Friedrichshain mit Blick auf Spree und Fernsehturm in der Abendsonne.

© Getty Images/iStockphoto

Die Stadt in 15 Zitaten: "Berlin ist wie eine Brücke ohne Geländer"

Was ist Berlin, was will es sein? Die Senatskanzlei befragte Einwohner und Experten. Ihre Aussagen sind liebevoll, interessant - und auch beunruhigend.

Was ist Berlin? Und was will es ein? Ein Jahr lang hat sich die Senatskanzlei auf die Suche nach der DNA der Hauptstadt begeben. Hat Einwohner, Marketingexperten und Akteure der Stadtgesellschaft befragt und das Ergebnis in einem Leitbild (86-seitige PowerPoint-Präsentation und 37-seitiges Strategiepapier) zusammengefasst. „Berlin bleibt anders.“ Stellt sich bloß die Frage: Wie?

„Es verändert sich viel, aber es findet keine Entwicklung statt“, heißt es in der Auswertung, die in erster Linie Marketingzwecken dienen soll (aus der man aber durchaus auch einen Weckruf an die Politik lesen kann!). Und: „Berlin ist geprägt durch planloses Überdrehen.“ Sprich: Bis dato fehlt eine Vision.

Im Rahmen der "Forschungsreise" hat die Senatskanzlei im Zeitraum von April 2018 bis März 2019 nach eigenen Angaben 2500 Menschen aus Berlin, Deutschland und international gefragt. Wir geben Einblick in die Selbstfindungsphase - zusammengefasst in 15 Zitaten aus der Befragung (Q: Senatskanzlei):

1. „Berlin ist wie eine eigene Welt.“

2. „Berlins Rolle ist es nicht, der Streber der Bundesrepublik zu sein. Das können andere besser. Berliner ist, wer im Bus auf der Klassenreise die Rückbank sucht, wer den Joint weitergibt, wer die Musik lauter dreht, wer das Scheitern nicht scheut.“

3. „(...) anyone can be a Berliner. Ich bin auch ein Berliner.“

4. „Nach seiner Façon zu leben, liegt in Berlin eben irgendwo zwischen Schrebergarten und Berghain.“

5. „Manchmal ist Berlin ein Kiezdorf. Das Nachtleben in Berlin funktioniert nur, wenn man keine Nachbarn hat, die sich über den Lärm beschweren.“

6. „Von mir aus könnte man um Charlottenburg eine Mauer bauen.“

7. „Alles wird mehr, die Stadt wächst in allen Bereichen: Menschen, Bauvolumen, Dreck.“

8. „Das Gefühl hat sich verändert und das Freiheitsversprechen ist weg. Wir müssen uns davon verabschieden – das Besondere der Stadt jedoch weiter verteidigen.“

9. „Wenn man niemanden hat, der aufpasst, und keine Struktur hat, dann kann man hier durchaus kaputtgehen. Man kann aber auch völlig eingesogen werden.“

10. „Härte wird auch Direktheit genannt. Und die ist auch sehr humorvoll. Der Berliner ist schlecht gelaunt. Wenn du ihm die schlechte Laune zurückgibst, kriegst du Liebe!“

Mit Plakaten wie diesem startete 2008 die Werbekampagne "Be Berlin".
Mit Plakaten wie diesem startete 2008 die Werbekampagne "Be Berlin".

© promo

11. „Berlin ist eine ehrliche Haut.“

12. „Berlin ist wie eine Familie, in der es kein Familienoberhaupt gibt und alle machen, was sie wollen, und sich streiten. Ich würde mir wünschen, dass es ein Familienoberhaupt gibt, das mal ein Machtwort spricht.“

13. „Ich mache mir um meinen Kiez Sorgen. Ich habe es hier geliebt. Jetzt wird aber eine riesige Mall gebaut, Urban Spree verschwindet, der Kletterpark ist weg, die A100 kommt, riesige Wohnhäuser werden gebaut.“

14. „Berlin ist eine Brücke ohne Geländer. Runterfallen ist erlaubt, im Gegensatz zum restlichen Deutschland.“

15. „A city on the edge, like Amsterdam.“

Bleibt Berlin anders? Die letzten Jahre zeigen, dass sowohl die „Heimat der Vielfalt“ als auch der „Freiraum der Möglichkeiten“ keine Selbstverständlichkeiten mehr sind, heißt es in der Analyse weiter. Das große Versprechen Berlins werde bedroht und begrenzt. Je mehr jeder mache und tue, was er wolle, desto zerrissener werde die Gemeinschaft. Neben der (individuellen) Freiheit als Recht, brauche es deshalb auch die Offenheit (gegenüber der Freiheit anderer) als Pflicht. Es brauche ein Berlin, das Gemeinwohl als Priorität setzt. Das grenzenlose „Ich“, so das Fazit, soll deshalb zum grenzenlosen „Wir“ umgedeutet werden. Berlin soll sich als Hauptstadt verstehen, „die ihr Wachstum verantwortungsvoll, gerecht und gemeinsam gestaltet und für Wirtschaftskraft, Lebensqualität und Solidarität steht“. Dann mal los!

Das neue Leitbild soll künftig als Kompass für alle Maßnahmen des Hauptstadt-Marketings herhalten. Ein neuer Slogan, der „Be Berlin“ ersetzt, wird im Laufe des Jahres gesucht. Schmissige Vorschläge – mit denen sich möglichst alle BerlinerInnen identifizieren können – sammeln wir gerne schon jetzt: checkpoint@tagesspiegel.de

Es stand zuerst im Tagesspiegel Checkpoint

- Den "Tagesspiegel Checkpoint" vom Team um Chefredakteur Lorenz Maroldt schicken wir Ihnen jeden Morgen kurz nach 6 Uhr in Ihre Mailbox. Den Checkpoint, dem wir diese Geschichte am Dienstagmorgen entnommen haben, können Sie unkompliziert bestellen unter www.tagesspiegel.de/checkpoint.

Mehr zur Slogan-Suche:

- Auf der Suche nach der DNA der Hauptstadt: Berlin war lange Zeit Nimmerland – und muss jetzt erwachsen werden. Lesen Sie hier das Essay.

- Berlin sucht einen Slogan: Ein Jahr lang hat der Senat der Essenz von Berlin nachgejagt. Die Frage dahinter: Wie lässt sich die Stadt am besten vermarkten? Den Tagesspiegel-Podcast "Fünf Minuten Berlin" hören Sie hier.

- Eine Stadt wie eine sanfte Katastrophe: Berlin, das ist der Ort, an dem nichts funktioniert und trotzdem alles irgendwie immer weiterläuft. Dafür bewundert uns die halbe Welt – aber die muss ja auch nicht hier leben. Die Berlin-Polemik lesen Sie hier.

- Brandenburg poliert sein Image auf: Brandenburg startete 2018 seine Werbekampagne – und präsentiert sich als "Sehnsuchtsland". Die Resonanz des Testlaufs hat die Macher selbst überrascht. Den Text lesen Sie hier.

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