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Berlin: Die Stille nach dem Beben

Es ist das Land ihrer Träume, nun mussten sie es wegen der Tsunami-Katastrophe verlassen. Japanologie-Studenten der Humboldt-Uni berichten von ihren Erlebnissen – und wollen Aufklärung leisten

Japanologin Beate Wonde bittet zur Schweigeminute im Gedenken an die Toten und Vermissten. In die Stille hinein reihen sich auf einer Projektion hinter ihr, der „Japan Quake Map“, die Nachbeben wie Nadelstiche aneinander. Am Wochenende waren es schon mehr als 760.

Das Japaninstitut der Humboldt-Universität hat zum öffentlichen Nachdenken und Spendensammeln eingeladen. Der nüchtern-wissenschaftliche Charme der Alma Mater wird von einer glutroten japanischen Sonne auf weißem Grund angestrahlt. Studenten bieten einen „Crashkurs zur Aussprache japanischer Namen“ an. Vor dem Hauptgebäude Unter den Linden verteilen lächelnde Kimono-Botschafterinnen Einladungszettel, doch nur wenige Touristen wagen den Schritt aus dem unbeschwerten Berlin in die akademische Gemeinde der Japan-Enthusiasten, die sich ernste Sorgen um ihr gelobtes Land machen.

20 Austauschstudenten der HU befanden sich zum Zeitpunkt der Katastrophe in Japan, nur vier von ihnen sind noch dort. Zurückgekommen ist Elisabeth Schulz, die an der Tokai-Universität in Tokio ein Stipendium für ein Gastjahr bekommen hatte. Das Stipendium war ein „großer Traum“, sagt sie, dafür büffelte sie Japanisch.

Das große Beben erlebt sie als ein „Wanken und Schwanken“. Weil in ihrem Wohnheimzimmer nichts herabstürzt, bleibt sie einfach stehen, mitten im Raum, und überlegt. Vielleicht drei Minuten lang. Dann läuft sie mit anderen auf die Straße. Weil alle gelassen bleiben, spürt auch sie keine Angst.

„Ich habe mich an die Verhaltensmaßstäbe der Japaner angepasst, fühlte mich sehr sicher und gut informiert.“ Die Angst schleicht sich erst langsam in ihre Seele, mit jedem Tag etwas mehr. Der Strom wird für einige Stunden abgeschaltet, Wasserrationen hortet man in Eimern. Sie ahnt, dass es ernst werden könnte, hadert aber mit ihrem schlechten Gewissen, dem Gefühl, andere im Stich zu lassen. Drei Tage später ist der Entschluss gereift, doch auszureisen. Die Japaner geben sich alle Mühe, ihr normales Leben weiterzuführen. „Ich habe ihr Verhalten unterschätzt“, sagt sie. Nur der Gedanke beruhigt sie schließlich: einen Platz frei zu machen, den ein Japaner einnehmen könnte, wenn es wirklich ernst wird. Wenn die Lage sich stabilisiert, will sie zurückkehren. „Meine Liebe zu diesem Land ist stärker als je zuvor.“

Marc Kunoth und seine Freundin Carolin Saal, beide Anfang 20, arbeiteten im Rahmen eines Ferienprogramms in einem Tokioter Restaurant. Beim großen Beben sind sie gerade auf Besuch in Hiroshima. Sie haben sich die Ausstellung über die Folgen der Atombombenabwürfe angeschaut. Als sie zwei Tage später mit dem Schnellzug nach Tokio zurückfahren, wundern sie sich über die Stille im Abteil, während sie selbst immer erhitzter diskutieren, was sie nun machen sollen. Sie beschließen, sofort nach Hause zu fliegen. Ihr Arbeitgeber sei enttäuscht gewesen, habe ihre Entscheidung aber akzeptiert, erzählt Carolin Saal. Der Vermieter, eigentlich ein langjähriger Freund, reagierte dagegen ungehalten und beauftragte auf ihre Kosten einen Umzugsservice. Jetzt müssen die beiden Studenten von Deutschland aus versuchen, an ihre persönlichen Sachen wie Unterlagen und Computer heranzukommen.

Japanisch-Lehrerin Jutta Borchert versucht, die Gefühlslage vieler Japaner zu erklären. Oberstes Gebot sei eine egalitäre Grundhaltung. Keiner dürfe auf Kosten seiner Mitmenschen aus der Reihe tanzen. Die Ruhe und Disziplin im Land habe aber wenig mit japanischen Samurai-Tugenden zu tun, meint Student Christoph Zeller. Diese Verhaltensweisen würden von Kind an trainiert, um der ständigen Erdbebengefahr zu begegnen. „Das ist vergleichbar mit der Lawinengefahr in Österreich.“ In jedem Haushalt steht ein silberfarbener Rucksack für den Notfall.

Die Japaner seien von der deutschen Berichterstattung, ihrem Fokus auf die nukleare Katastrophe und der politischen Debatte enttäuscht, meint Borchert. Es würde der Eindruck genährt, Japan sei selbst schuld an seinem Unglück. Auch die Reisewarnungen empfänden Japaner als unangemessen, zumal nur ein Teil des Landes betroffen sei. Länder wie Taiwan, Korea oder USA würden eher die Tragik der Erdbebenkatastrophe hervorheben und konkrete Hilfe anbieten.

Es sind auch japanische Studenten gekommen. Saki Okuda, 22, studiert in Tokio Norwegisch und ist für einen Monat zum Deutschlernen in Berlin. In einigen Tagen will sie zurückfliegen. Bis auf die Trinkwasserprobleme und die Stromsperren hält sie Tokio für „sicher“. Auch ihre positive Einstellung zur Kernkraft habe sich durch die Katastrophe nicht geändert, sagt sie.

Der Künstler Aso Hiro, 33, lebt schon seit zehn Jahren in Deutschland. Er hält die Reaktionen der Deutschen für „hysterisch“, ist aber selbst infolge der Katastrophe zum Atomkraftgegner geworden. Japaner seien „nicht so blauäugig“ und technikhörig, wie viele dächten. Auf die erdbebensicheren Hochhäuser seiner Heimatstadt ist aber auch Hiro stolz. In Tokio gebe es nach dem Erdbeben praktisch „keinen Kratzer“. Nur die Antenne des Fernsehturms ist abgeknickt. Das zu sehen, habe ihn schockiert. Der alte Fernsehturm ist das Wahrzeichen der Metropole.

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