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Berlin: Die Stirn geboten

Eine Narbe wird bleiben. Auf der Stirn hält ein blauer Faden die Wunde mit drei Stichen zusammen.

Eine Narbe wird bleiben. Auf der Stirn hält ein blauer Faden die Wunde mit drei Stichen zusammen. Die Narbe wird ihn stets erinnern: an den vollbesetzten S-Bahnzug, die pöbelnden Neonazis, die Stille im Waggon - bis er dazwischenrief. "Vermutlich war das nicht sonderlich schlau", sagt Sven (Name geändert) lächelnd, 25 Jahre alt, Student an der Humboldt-Universität. In jedem Fall aber schmerzhaft, eine Bierflasche traf ihn als Antwort am Kopf. Trotzdem, sagt Sven, oder gerade deshalb: Ich würde es wieder so machen.

Die Geschichte, die Sven erzählt, klingt vertraut. Von einer pöbelnden Minderheit, der schweigenden Mehrheit. Wie beispielsweise erst Anfang Februar: Eine Gruppe junger Ausländerfeinde hatte in der Nähe eines Einkausfzentrums eine libanesische Familie angegriffen. Die Jugendlichen pöbelten und rempelten. In einer Straßenbahn schlugen sie die Frauen, während Dutzende Fahrgäste tatenlos zusahen. Am helllichten Tag in Hellersdorf.

Dieses Mal mitten in der Nacht in Mitte: Das Partyvolk war mit der gut besetzten S-Bahn unterwegs, als an der Jannowitzbrücke eine Gruppe Betrunkener hinzustieg. Sechs bis acht Neonazis, beschreibt Sven die Szene, mit Bomberjacken, weißen Schnürsenkeln an den Stiefeln, Glatzen, auf einigen ihrer Pullover stand "Kameradschaft Potsdam". Erst fielen einige antisemitische Sprüche, dann ging der Clan zwei junge Frauen an, drängte sie in die Ecke. Als einer rief "Ach, das sind ja nur Studentinnen!", begannen einige von ihnen wie betrunkene Indianer zu tanzen und zu singen: "Wir studieren! Wir studieren! Wir studieren!"

Dann Svens folgenschwerer Einsatz: "Scheint ja nicht viel geholfen zu haben!" Die Neonazis ließen jetzt zwar von den Frauen ab, konzentrierten sich statt dessen auf den jungen Mann mit Mütze, Fahrrad und Kinnbart. Den Studenten der Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaft. Ein Wort jagte das nächste, dann holte einer aus, und plötzlich sah Sven nur noch Blut. Er sagt, dass er sich "sehr geschämt" habe, als er sich dann am Hackeschen Markt auf den Bahnsteig schleppte. "Über diese Machtlosigkeit, die die gesammelte Mannschaft gegenüber diesen acht Leuten demonstriert hat."

Während eine zufällig anwesende Krankenschwester Svens Wunde verarztete, standen die Schläger noch einige Minuten unentschlossen herum - und türmten schließlich. Später kamen der Bundesgrenzschutz (BGS), dann der Krankenwagen. Die Ermittlungen dauern an, heißt es beim BGS. Zeugen werden verhört. "Es gibt mehrere Tatverdächtige."

Sven, der nicht ganz so schlaue Held. Er sagt, dass er niemandem seine Strategie empfehlen würde - kann selbst aber offenbar nicht anders. Der hässliche Vorfall in der S-Bahn sei für ihn auch keine Premiere gewesen. "Sonst ist es mir aber immer gelungen, andere aus dem Umfeld zu rekrutieren." Wie vor zwei Jahren in der Oranienburger Straße. Damals genügte ein kurzer Blickkontakt (" mit drei Punks und einem aus der alternativen Szene"), um mit zwei betrunkenen, Sprüche klopfenden Neonazis in der Straßenbahn fertig zu werden: Einer bat den Fahrer, kurz zu halten, die anderen packten die Pöbler. "Dann haben wir sie einfach rausgeschmissen."

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