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Berlin: Die süße Schicht

Baiser und Co.: Meisterkoch Matthias Buchholz liebt es, traditionelle Rezepte zu verfeinern und zu variieren. Zum Beispiel Patisserie. Und manchmal spielt er auch frohsinnig Kindergeburtstag – allerdings ganz ohne Leibniz-Kekse und Kakaocreme mit Palmfett

In der feinen Küche gibt es keinen Radiergummi. Ähnlich wie beim Zahnarzt muss alles auf den ersten Versuch sitzen. Eine Gänseleber oder eine Jacobsmuschel verzeihen einen Fehler nicht. Obwohl der Küchenchef des „First Floor“ im Palace Hotel gut auch den tiefen Teller erfunden haben könnte, bleibt er viel lieber ein Macher mit Herz. Bereits als kleiner Junge im elterlichen Gasthof zu Bad Breisig bei Remagen hat Matthias Buchholz mit Lebensmitteln hantiert. 1983 wurde es dann ernst. Er begann seine Lehre im Gelnhausener „Schießhaus“. Seinem dortigen Patron Peter Lefevre, der bereits mit Größen wie Witzigmann und Langendorf auf dem Petersberg gearbeitet hatte, verdankt er die Einsicht, dass man mit anspruchsvollem Kochen weiter kommt als mit bloßem Schnitzel-Braten.

Nach seiner Lehrzeit machte er sich ins freie Berlin auf, um im „Restaurant an der Rehwiese“ zu erfahren, dass die allerbesten Rezepte alleine keinen Erfolg garantieren: Jedes Gericht muss mehrfach durchgespielt werden, bevor es Geltung beanspruchen darf. Außerdem lernte er bei seinem Chef Peter Frühsammer alles über die verfügbaren Produkte. Mit diesem Rüstzeug im Gepäck heuerte er bei Norbert Schu im „Schweizerhof“ von Hannover an und erfuhr dort, wie gut sich Fisch und Fleisch auf einem Teller vertragen – Präzision vorausgesetzt. Bevor Buchholz ins mittlerweile hauptstädtische Berlin zurückkehrte, verbrachte er gut zwei Jahre bei Hans Haas im Frankfurter „Weinhaus Brückenkeller“, wo ihm ein geradliniger Küchenstil begegnete: „Mit Pfiff – nicht auf der Karte, sondern beim Essen.“

Als Buchholz 1999 auf Wunsch von Palace-Direktor Karl Stiehle zum Nachfolger des barocken Rolf Schmidt im „First Floor“ bestellt wurde, bündelte er die Erfahrungen seiner Wanderjahre, was bald mit Auszeichnungen gewürdigt wurde: 2001 zum Koch des Jahres vom Gault Millau bestallt sowie seither regelmäßig mit einem Michelin-Stern und zwei Varta-Kochmützen ausgezeichnet, gehörte er mehrfach zur Riege der Berliner Meisterköche. Die Wand vor dem Eingang zum Restaurant ist jedenfalls übersät mit sorgfältig gerahmten Trophäen.

Die drei beherrschenden Aspekte seines Verständnisses von Haute Cuisine sind Vereinfachung, Verfeinerung und Respekt vor der Tradition. Das gilt für die Galantine von der Bresse-Wachtel und der Jakobsmuschel mit Grießnocken im Rucolasud wie für die Rotbarbe auf herrlich mildem Pulporagout oder die Flusskrebse mit glaciertem Kalbsbries und Brunnenkresse. Zupackend, aber zugleich wie mit Samthandschuhen gefertigt erscheint eine Torte, deren Boden aus Steinpilzen besteht. Der ist von zarter Gänsestopfleber bedeckt und von einer saftigen Tranche einer französischen Poularde bekrönt.

Mit Bedacht meidet Buchholz schroffe Gegensätze, weil er für jedes Element des Menüs den idealen Platz sucht. Einen Weinbergpfirsich etwa kann er sich ohne die Gesellschaft von Himbeeren kaum mehr vorstellen. Die verspielte Art, mit der seine Patisserie mit Variationen von Klassikern umgeht, offenbart Leichtigkeit und Charme. Deshalb scheut sich der frohsinnige Meisterkoch keinen Moment, im unten stehenden Rezept den Geist des Kindergeburtstags zu beschwören. Als er vor einiger Zeit mir nichts dir nichts einen so genannten Kalten Hund auf seine Karte hob, weckte er unversehens Kindheitserinnerungen bei seinen Gästen – an Leibniz-Kekse und kakaoisiertes Palmfett. Natürlich wandelte er das schlichte Urrezept elegant ab und präsentiert es hier in nochmals perfektionierter Form.

Restaurant „First Floor“ im Hotel Palace Berlin, Charlottenburg, Europa-Center, Tel. 25021020 (Mo bis Fr 12 bis 14 und 18 bis 23 Uhr).

Am kommenden Mittwoch geht es weiter. In Folge6 unserer Serie präsentiert Bruno Pellegrini vom „Ana e Bruno“ sein Lieblingsrezept.

Thomas Platt (Texte), Kai-Uwe Heinrich (Fotos)

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