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Berlin: Die Titanic ist wieder aufgetaucht

Der erste Film über den Untergang des Luxusdampfers galt als verschollen - er war im Schrank eines SammlersVON ANDREAS AUSTILAT BERLIN.Er war der Schnellste: Der Regisseur Mime Misu drehte im Juni 1912 den ersten Titanic-Spielfilm, nur zwei Monate nach der Katastrophe.

Von Andreas Austilat

Der erste Film über den Untergang des Luxusdampfers galt als verschollen - er war im Schrank eines SammlersVON ANDREAS AUSTILAT BERLIN.Er war der Schnellste: Der Regisseur Mime Misu drehte im Juni 1912 den ersten Titanic-Spielfilm, nur zwei Monate nach der Katastrophe.Und - Misu drehte in Berlin: Seine Titanic lief in einem Hinterhof in der Chausseestraße auf Eis - Nummer 123, gleich neben dem Brecht-Haus.Aber der Film galt als verschollen.Wahrscheinlich wäre er im Dunkel der Filmgeschichte verschwunden, wenn nicht ein Reporter des Berliner Tageblatt vor 85 Jahren die Dreharbeiten beobachtet und der Tagesspiegel darüber unlängst berichtet hätte.Jetzt ist der Film wieder aufgetaucht - ein Tagesspiegel-Leser hat eine Kopie in seinem Besitz. Eine kleine Sensation, meint der Babelsberger Publizist Wolfgang Noa.Noa hatte 1992 eine Titanic-Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum organisiert, dabei auch allerlei zusammengetragen.Die Titanic aus der Chausseestraße kannte er allerdings auch nur über Dritte.Die Stiftung der Deutschen Kinemathek konnte lediglich drei Zensurkarten beisteuern, die in dürren Worten den Inhalt des Films wiedergeben. Beim Schiffsuntergang auf dem Hinterhof wurde die Bühne noch von Hand ins Schaukeln gebracht, der Kesselraum war auf ein Stück Leinwand gemalt, davor agierten wildgestikulierend die Akteure, und währenddessen wartete außerhalb des Sichtfeldes der Postbote darauf, endlich seine Tour fortsetzen zu können.Ein schnell gedrehter Streifen in einer Branche, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stand. "In Nacht und Eis" ist aber keineswegs nur im Hinterhof entstanden.Das Team hatte sich 1912 zum Außendreh eigens an die Waterkant begeben und einen leibhaftigen Vierschornsteindampfer eingefangen.In Berlin haben es die Kulissenschaukler dann vielleicht ein bißchen übertrieben, die Film-Titanic wackelt die komplette halbe Stunde, die der Streifen ungefähr dauert, ziemlich heftig.Die Freunde ausgefeilter Tricktechnik kommen bei der Kollision auch nicht so ganz auf ihre Kosten.Es sieht ein bißchen so aus, als ob ein auf den Wellen hüpfendes Spielzeug ein paar Eiswürfeln rammt.Und weil der Film stumm ist, neigen die Akteure zum Chargieren.Der Kapitän, die Offiziere, der Funker, alle rollen angesichts der Katastrophe mit den Augen und fassen sich etwas zu oft an den Kopf. Aber sonst hat der Film alles, was ein Titanic-Film braucht.Der Leinwand-Kesselraum sieht absolut echt aus, wie überhaupt den Heizern großes Lob für ihre Darstellung gebührt.Und sehr gut gefällt die Idee, den Kapitän über Bord gehen und dort ertrinken zu lassen.Am Ende ruht die Kamera auf der treibenden Mütze, ein Bild, das in den folgenden Filmjahrzehnten noch manche Szene mit Ertrinkenden illustrieren sollte. Das Filmmaterial von damals war ein flüchtiges, ohne sorgfältige Lagerung fällt es Bakterien zum Opfer oder entzündet sich gar selbst.Und so ist das Original vermutlich wirklich verschollen.Aber angesichts unseres Artikels erinnerte sich ein Leser an eine Super-Acht-Rolle im Schrank, eine Kopie, die er vor vielleicht zwanzig Jahren erworben hatte.So ganz genau erinnert sich der Mann, der keinen Rummel schätzt und sich deshalb lieber Stan Holger nennt, nicht mehr - der 74jährige besitzt nämlich noch 2000 weitere Rollen, allekatalogisiert. Holger ist Filmfan, schon seit frühester Jugend.Die Eltern waren zwar nicht nicht reich, aber mit eigenem Blumenladen am Kurfürstendamm wohl durchaus begütert.Schon in den dreißiger Jahren besaß Holger eine Kamera und ein 16-Millimeter-Vorführgerät Holger kaufte und tauschte: Spielfilme, Dokumentationen, Wochenschauen, große Kunst wie "Panzerkreuzer Potemkin" oder "Sinfonie der Großstadt", Raritäten wie die Versenkung der Lusitania, ein Zeichentrickfilm des Little-Nemo-Erfinders Winsor McCay oder "The First World War", den er aus dem Londoner Imperial War Museum bekam.Die Titanic ging in der Masse unter. Als dann Video aufkam, machte Holger nicht mehr mit, verlor sogar ein bißchen das Interesse an seiner eigenen Sammlung.Und so wirft er nur noch selten den schnarrenden Projektor an.Aber wenn, dann kann er sich Filme anschauen, von denen es der eine oder andere nicht auf Video geschafft hat, den vielleicht sogar nur noch er hat.

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