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Berlin: „Die Tötung ist erlaubt und notwendig“ Zeugin belastet Brüder im Mordfall Sürücü schwer

Melek war verliebt in Ayhan, drei Wochen lang. Heute trägt die 18-Jährige unter ihrem Kapuzenpullover eine schusssichere Weste, drei Bodyguards begleiten das Mädchen mit den dunklen Augen ins Gericht.

Melek war verliebt in Ayhan, drei Wochen lang. Heute trägt die 18-Jährige unter ihrem Kapuzenpullover eine schusssichere Weste, drei Bodyguards begleiten das Mädchen mit den dunklen Augen ins Gericht. Melek geht schnell durch den Saal, doch es sieht aus, als würde sie sich bei jedem Schritt selbst Regieanweisungen erteilen: Guck auf den Boden! Schau nicht zur Anklagebank! Zeig nicht den Zuschauern dein Gesicht!

Melek A. ist die Kronzeugin im Mordfall Sürücü, sie lebt seit Monaten an einem geheimen Ort, getrennt von ihrer Familie, unter neuem Namen. Es war Ende Januar, als die Kreuzberger Schülerin die erste Liebes-SMS von Ayhan, dem 19-jährigen Bruder ihrer Freundin, erhielt. „Später hat er gesagt, dass er mich heiraten will“, sagt Melek. Die junge Türkin hat die Ellbogen auf den Tisch gelehnt, würdigt Ayhan S. aber keines Blickes.

Die drei Angeklagten sitzen links hinter der Zeugin, manchmal lächeln die Brüder über Meleks Worte, zuweilen protestieren sie laut oder schütteln hinter der Panzerglasscheibe die Köpfe: Ayhan (19), Mutlu (26) und Alpaslan S. (24). Der Staatsanwalt glaubt, dass die drei Männer ihre Schwester Hatun Sürücü am 7.Februar ermordet haben, weil sie den Lebensstil der 23-Jährigen als „Kränkung der Familienehre“ empfanden. Hatun Sürücü war aus einer Zwangsehe mit ihrem Cousin ausgebrochen, hatte daraufhin das Kopftuch abgelegt, die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, ihren Sohn alleine großgezogen und eine Lehre als Elektromechanikerin begonnen. „Schlampe, Hure“, so habe Ayhan S. seine Schwester genannt, sagt Melek.

Die 18-Jährige sieht heute wieder aus wie früher: Sie trägt Jeans und Turnschuhe, das braune Haar fällt ihr offen bis auf die Schultern. Doch damals, als sie ein und aus ging in der erzkonservativen Familie Sürücü, begann auch Melek, ein Kopftuch zu tragen. Mit Ayhan habe sie viel über den Islam geredet, sagt Melek. „Er fand es nicht nötig, dass Mädchen in die Schule gehen. Weil man ihnen da nicht so gute Sachen beibringt.“

Ayhan S. hat viel geredet damals – und es in seiner Zelle sicher oft bereut. Der 19-Jährige erzählte Melek von seiner Wut, seiner vermeintlichen Verantwortung als Sohn, von seinen Schießübungen im Görlitzer Park, dem Mordplan und einem Treffen mit seinen Brüdern. „Katli vacip“, habe Alpaslan wenige Tage vor der Tat zu dem Jüngsten gesagt. Ein Dolmetscher im Gerichtssaal übersetzt: „Die Tötung ist erlaubt und notwendig.“ Mutlu habe die Waffe besorgt, Alpaslan in der Mordnacht Schmiere gestanden.

Das bestreiten die drei Brüder. Beim Prozessauftakt hatte Ayhan S. alle Schuld auf sich genommen, gesagt, dass niemand ihm geholfen habe. Zumindest der Staatsanwalt glaubt dem 19-Jährigen kein Wort. Und Melek? Sie wusste ja offenbar von dem Komplott, unternahm aber nichts. „Man will das nicht wahrhaben, wenn man jemanden liebt“, sagt sie. Als Melek den Saal verlässt, setzt sie sich eine Sonnenbrille auf und verbirgt ihr Gesicht hinter einem roten Schal.

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