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Berlin: Die Traumverkäuferin

Sprache bewahren, Sponsoren gewinnen, Kinderfantasien beflügeln: Silke Fischer ist die Chefin der Berliner Märchentage, die heute beginnen

Muffig, säuerlich. Der Geruch fällt einem als Erstes auf, wenn man das alte Treppenhaus mit den großen Fenstern und dem Spreeblick betritt, über das man Silke Fischers Büro erreicht. Alte Bücher riechen so. Das passt. Denn unter dem Dach des alten Kurfürstenhauses im Nikolaiviertel arbeitet eine Frau, die sich dem verschrieben hat, was in vielen alten Büchern steht: Märchen. Silke Fischer, Mitte vierzig, zierlich, bronzerote lange Haare. Sie ist die Chefin der Berliner Märchentage.

Ein verschwörerisches Lächeln huscht über ihre Lippen, als sie auf den Geruch im Treppenhaus angesprochen wird. Es ist, als schließe man in diesem Moment einen geheimen Bund mit ihr: Wer den Geruch alter Bücher kennt, könnte ein Büchermensch sein. Ein Buchliebhaber.

Büchermenschen werden seltener, vor allem die Kinder unter ihnen. Silke Fischer empfindet das als großes Problem. Es ist ein wesentlicher Grund, warum ihr Märchen und die Märchentage, die heute beginnen, so wichtig sind. „Märchen helfen uns, unsere wunderbar reiche Sprache zu bewahren. Und leider wird oft vergessen, dass viele Märchen großartige Literatur sind.“ Silke Fischer weiß: Solche Sätze klingen nach Deutschlehrer-Mantra. Schnell schiebt sie nach, sie stamme eben aus einer Missionarsfamilie. Der spöttische Unterton verrät, dass sie sich wohler fühlt, wenn sie unaufdringlich missionieren kann. Wie ihre Großmutter, der sie ihre Begeisterung für Märchen verdankt: Die lebte in einer alten Villa im Thüringer Wald, es gab strenge Winter. Die Enkel saßen um den Kachelofen, die Großmutter las Märchen vor.

Silke Fischer hätte ihre Leidenschaft für Bücher gerne in einem Studium genutzt. Aber sie hatte sehr viele Verwandte im Westen und durfte deshalb in der DDR nicht studieren. Statt Lateinamerikanistik: Damenschneiderei in Berlin, Abendschule, Jobs. Als sie Ende Zwanzig war, hatte sie genug und flüchtete über Ungarn in den Westen. Kurz vor der Maueröffnung. Das Studium hat sie nachgeholt, ihre Abschlussarbeit handelt davon, wie europäische Märchen in Lateinamerika fortleben. Ihre Doktorarbeit brach Silke Fischer ab, als die zu drei Vierteln fertig war. Weil nur eines ging: promovieren oder die Märchentage leiten.

Der Eindruck, da sei eine Idealistin am Werk, stimmt schon. Doch wer dabei an weltferne Träumereien denkt und das nicht verbirgt, wird Silke Fischer bissig erleben. „Es macht mich richtig wütend, wenn Leute glauben, wir Märchentanten könnten nicht rechnen.“ Es sind sechs Frauen, die hauptberuflich die Märchentage vorbereiten.

Aus dem Gespräch wird kurzzeitig ein Monolog. Weil Silke Fischer Fragen beantwortet, bevor man sie stellt. Beschäftigt ein zweiwöchiges Märchenfestival das ganze Jahr über sechs Frauen? Was tun sie die ganze Zeit? Fragen, die sie oft gehört hat. Auch von Politikern, die sich in Zeiten knapper Kassen schwer tun zu akzeptieren, dass ein Märchenfest rund 400000 Euro kosten soll. „Wir haben die Märchentage auf ein anderes Niveau gehoben.“ Zusätzlich zu den weit über 1000 Veranstaltungen bieten sie ein Symposium mit hohem wissenschaftlichen Anspruch an, soll das heißen. Nur verfängt das Argument nicht immer. Im vorigen Jahr gab es wegen der Finanzierung heftigen Streit im Abgeordnetenhaus.

Silke Fischer will darüber nicht sprechen, nicht öffentlich. Sie lobt lieber den Regierenden Bürgermeister. „Klaus Wowereit setzt sich sehr für uns ein.“ Unter anderem hat er sich dafür stark gemacht, dass der Märchenland Verein jetzt Gelder von der Lotto-Stiftung bekommt, die einen großen Teil des Etats decken. Der Rest ist an Silke Fischer. „Wir verkaufen Träume, Wünsche, Hoffnungen“, sagt sie und dass 85 Prozent ihrer Arbeit darin bestehe, Geld zu akquirieren und Lobbyarbeit zu betreiben. So spricht eine Managerin. Da man Träumen möglichst nicht anmerkt, dass sie eine Ware sind – weil sie sonst von ihrem Zauber verlieren – ist jetzt der richtige Moment, auf Hans Christian Andersen zu sprechen zu kommen. „Er war ein Entertainer“, sagt Silke Fischer. „Und er hat es immer geschafft, Mäzene aufzutun, Geldquellen. Er hat viel gearbeitet und doch nie seine Kreativität verloren.“ Da ist Andersen, so darf man das verstehen, ein Spiegelbild, in dem sich Silke Fischer erkennen möchte.

Es gibt Tage, an denen sie lieber wieder Wissenschaftlerin wäre als Managerin. An denen sie genug hat von nie zweifelnden Helden und dem absehbar guten Ende. Dann besucht sie Veranstaltungen von Märchenerzählern. „Wenn sehr aufgedrehte Kinder plötzlich ganz ruhig werden, das entschädigt für alles“, sagt sie.

Marc Neller

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