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Berlin: Die Türkei und die EU: darauf einen Beaujolais

Von Suzan Gülfirat Jeden Montag im Tagesspiegel: Ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen. In den türkischen Gazetten gibt es kaum ein anderes Thema als die heiß ersehnte EU- Mitgliedschaft.

Von Suzan Gülfirat

Jeden Montag im Tagesspiegel: Ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen.

In den türkischen Gazetten gibt es kaum ein anderes Thema als die heiß ersehnte EU- Mitgliedschaft. Eine Frage beschäftigt die Blätter dabei am meisten: Wer ist dafür und wer dagegen? Doch jenseits der großen Politik kann der Leser hier und da auch gesellschaftliche Veränderungen erkennen. Schließlich sind es oft die scheinbar unauffälligen Dinge, die große Veränderungen verheißen, wie zum Beispiel eine Anzeige der Einkaufskette Lidl in der Hürriyet am Donnerstag. Darin bietet das Unternehmen neben alltäglichen Gegenständen den türkischen Kunden auch allerlei nützliche Dinge für die Weihnachtszeit an: Adventskränze (Advent süsü), Adventskalender, einen Halter für den Tannenbaum (Noel agaç), und für den Abend einen „fruchtigen“ Beaujolais.

Die Anzeige in dieser Zeitung zu schalten, ist eine weise Entscheidung des Unternehmens, nicht nur deshalb, weil die Hürriyet von allen türkischen Zeitungen in Deutschland am meisten gelesen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Werbeaktion ein Flop wird, ist so wesentlich geringer, als wenn die Anzeige zum Beispiel in der zweitgrößten Tageszeitung, Türkiye, erscheint. Denn diese Zeitung wird eher von frommen Moslems gelesen, für die es reine Blasphemie ist, wenn ein Türke in seinem Wohnzimmer einen Tannenbaum aufstellt. In der Türkiye würde die Anzeige deshalb eher zu Protesten führen als zu höheren Umsätzen.

Doch auf dem Weg in die EU ändern sich auch für fromme Moslems die Zeiten. Am gleichen Tag wie die Anzeige brachte die Hürriyet ein Interview mit der türkischen Tourismusministerin Güldal Aksit. Die Überschrift dazu: „In punkto Alkohol können Sie beruhigt sein.“ Das könne jeder halten, wie er wolle. Dem Privatleben anderer Leute wolle man mit Respekt begegnen, sagte die Ministerin, die kein Kopftuch trägt. Sie ist die einzige Frau in dem 25-köpfigen Kabinett der religiös-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Interessant ist ihre Aussage deshalb, weil der Fastenmonat Ramadan noch bis zum 4. Dezember geht. Der Genuss von Alkohol ausgerechnet in dieser Zeit ist eigentlich eine Todsünde.

Suzan Gülfirat

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