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Berlin: Die ungleichen Partner

Als Hans Peter Kuhn auf der Suche nach einem großen Atelier den Satz hört: „Ich glaube, im Turm ist was frei“, hält er das für einen Scherz. Als Klang- und Lichtkünstler braucht er viel Raum – wie könnte ihm da ein Turmzimmer genügen?

Als Hans Peter Kuhn auf der Suche nach einem großen Atelier den Satz hört: „Ich glaube, im Turm ist was frei“, hält er das für einen Scherz. Als Klang- und Lichtkünstler braucht er viel Raum – wie könnte ihm da ein Turmzimmer genügen? Doch es stellt sich heraus, dass die vakanten Räumlichkeiten im Uhrenturm 150 Quadratmeter groß sind. Und so bezieht Kuhn 1999 ein Atelier im Ullstein-Haus am Mariendorfer Damm. Wer ihn im einstigen Druckhaus des Ullstein Verlags im neunten Stock über den Dächern Tempelhofs besucht, wird zunächst gebeten, die Schuhe auszuziehen. Kuhns Frau, die Künstlerin und Tänzerin Junko Wada, ist Japanerin. Auf den mattweißen Holzbohlen barfuß zu laufen ist ein Genuss.

Die offene und helle Gestaltung der Räume ist für ein Atelier nichts Ungewöhnliches, auch die Arbeitstische, die hohen Regale mit Bildbänden, Büchern und CDs und die großen Leinwände nicht. Außergewöhnlich ist der Ausblick. Die vielen Fenster liegen so hoch, dass Kuhn den Fußboden erhöhen musste, um hinausschauen zu können. Jetzt hat er einen Arbeitsplatz mit freier Sicht auf nahezu die gesamte Stadt. An der Außenfassade befinden sich noch die roten Lampen, die das 76 Meter hohe Gebäude zu Zeiten des Flugbetriebs vor Kollisionen geschützt haben. „Als sie noch leuchteten und ich spätabends arbeitete, war das eine fantastische Atmosphäre“, sagt der Lichtkünstler.

Aus den Nordfenstern blickt der 59-Jährige auf eines seiner Lieblingsgebäude, das alte Lagerhaus des Tempelhofer Hafens am Teltowkanal. Zugleich packt Kuhn die Wut, denn das früher sandsteinfarbene und weiße Hafengebäude hat seit April 2009 einen neuen Nachbarn, das 20 000 Quadratmeter große Einkaufszentrum Tempelhofer Hafen mit 80 gewerblichen Mietern. „Sehen Sie sich diese schreckliche weiße Zigarrenkiste an, zwei Schritte von dem schönen historischen Lagerhaus entfernt. Was hat das mit Denkmalschutz zu tun?“ Kuhn ist ein Augen- und Ohrenmensch. Und eben leidet er.

1974 kam er von Kiel nach Berlin, war zunächst Tonmeister an der Schaubühne am Halleschen Ufer, dann Komponist und häufiger Arbeitspartner von Theaterregisseur Robert Wilson, mit dem er 1993 in Venedig den Goldenen Löwen gewann. Auch mit vielen anderen Bühnengrößen wie Peter Stein, Peter Zadek und Luc Bondy hat Hans Peter Kuhn gearbeitet, seine Installationen waren in New York, Singapur und Paris zu sehen. In Berlin ragt neben dem Berliner Ensemble Kuhns bunte Lichtleiter in den Himmel. Für eine Performance in Marzahn hat er einmal 44 Hochhäuser farbenfroh illuminiert.

Der Musiker ist auch Feinschmecker. Für ihn ist „Bruno“ in der Friedrich-Wilhelm-Straße einer der besten Italiener der Stadt. Samstags geht er gern zu „seinem“ Fischhändler auf dem Wochenmarkt nahe dem U-Bahnhof Westphalweg. „Nicht nur, weil er lustigerweise Pelikan heißt, sondern weil es bei ihm Fisch in Top-Qualität, aber zu Tempelhofer Preisen gibt.“

Auf den Bezirk lässt er nichts kommen. „Manche Berliner empfinden Tempelhof als einen ‚Nicht-Ort’, weil hier nicht viel los ist“, sagt er. Ihm gefällt gerade das, und der im Mittelalter von den Tempelrittern gegründete Ort sei außerdem reich an – positiver wie negativer – Geschichte. Die Dorfkirche Marienfelde ist das vielleicht älteste Gotteshaus Berlins und der BFC Germania 1888 der älteste Fußballverein Deutschlands. Im denkmalgeschützten Lorenzhaus wurde zu NS-Zeiten der Volksempfänger produziert, und nicht weit von der jetzigen Columbiahalle entfernt befand sich das erste Konzentrationslager, an das heute ein Mahnmal erinnert.

Und schließlich gibt es den ehemaligen Flughafen und das Tempelhofer Feld, das Hans Peter Kuhn gern und oft mit dem Rad durchquert. „Ich mag einfach die Weite“, sagt er. Eigentlich hätte er ja große Lust, dafür mal eine Installation zu entwerfen. Eva Kalwa

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