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Berlin: Die Verständigung mit den Neuen an der Schule klappt prächtig

Johnny Walker hatte das Nachsehen. Das Meerschweinchen der zehnjährigen Florence, genannt Flo, konnte nicht mit vom Rhein an die Spree.

Johnny Walker hatte das Nachsehen. Das Meerschweinchen der zehnjährigen Florence, genannt Flo, konnte nicht mit vom Rhein an die Spree. Das Tier fand Asyl bei Freunden der Familie im Nordrhein-Westfälischen. "Mein Meerschweinchen hätte ich schon gerne mitgenommen. Und meine beiden großen Brüder. Und meinen Vater, und die Freundin von meinem Vater auch. Die wollten nämlich nicht weg aus Bonn", erzählt Flo. Helene brauchte sie nicht einzupacken. Flos neue Freundin wohnt nämlich in Berlin.

"Die beiden sind ein Klatsch an den Sahnekuchen", wie Flos Mutter die Zufallsbekanntschaft der Klassenkameradinnen auf Norddeutsch beschreibt. Die Mädchen besuchen die Klasse 5a des Werner-von-Siemens-Gymnasiums an der Beskidenstraße in Zehlendorf, eine jener Schulen, an der sich das Zusammenwachsen von Vertretern der alten und der neuen Bundeshauptstadt werktäglich auf der Schulbank vollzieht. Besonders begabte Kinder haben die Chance, die Abiturlaufbahn als "Schnellläufer" bereits ab der fünften Klasse und schon in zwölf statt in 13 Jahren zu absolvieren. Für Bonner Eltern, die gewohnt sind, ihren Nachwuchs bereits nach vier - und nicht wie in Berlin nach sechs Grundschuljahren - an ein Gymnasium zu geben, daher eine erste Adresse. "14 Zuzügler, 18 Berliner" - so beschreibt Direktor Dirk Reich das Schülerverhältnis der 5a. Insgesamt kamen bislang rund 2700 schulpflichtige Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern nach Berlin.

"Umzug im Dialog" steht auf einem Speditionslastwagen vor dem Gymnasium. Auf dem Schulhof pieksen Siebentklässler Papier auf und entsorgen es im Mülleimer. Der Sportplatz mit Fußballtoren ist nicht mit profanem Kunstrasen belegt, vielmehr schmückt frisches Grün den Boden. Zu weit nach rechts sollte jedoch niemand einen Ball schießen - unter den Bäumen ist der Bienenstock der schuleigenen Honig-Arbeitsgemeinschaft befestigt. Oberstufenschüler saugen Honig aus einer anderen AG: Bier brauen. Auch Fußball für Mädchen wird an der Schule angeboten.

Flo geht gern Schwimmen und Fahrrad fahren. Die Zehnjährige und ihre Klassenkameraden aus Bonn finden die neue Schule toll - und die Berliner Kinder wie Konstantin, Paulina und Lena finden die Neuen "nett, lustig und lieb." Die Bonner "sind doch auch nur Menschen", sagt Juliana . Und offenbar so beliebt, dass die 5a kurzerhand die Zuzügler Flo und Simon zu ihren Klassensprechern wählte. Die meisten jungen Neu-Berliner lernen wie Flo in Zehlendorf, in Reinickendorf, Wilmersdorf, Charlottenburg und Spandau. Rund ein Drittel der Eltern entschied sich für einen Schulplatz in Pankow, Weißensee, Prenzlauer Berg oder Köpenick, berichtet Eva-Maria Kabisch, Berliner Umzugsbeauftragte von Senatskanzlei und Schulverwaltung. Als Leitende Oberschulrätin kennt sie alle Direktoren. Hier ein Anruf, dort ein Treffen von Eltern und Schulleitung sogar am Wochenende: So hat bislang noch jedes Zuzügler-Kind einen Platz an einer der 1300 Berliner Schulen gefunden.

Auch Kiki ist neu am Siemens-Gymnasium. Flos Klassenkameradin würde am liebsten eine Hockey-AG an der Schule gründen: "Meinen Club aus Bonn vermisse ich total." Überhaupt war die zehnjährige Kiki mit den Sommersprossen "wahnsinnig sauer, dass wir nach Berlin gehen. Ich habe meine Eltern angeschrien." In Bonn "sind wir nämlich nicht hinter dem Mond", bekräftigt Kiki: "Kirmes, Freiwillige Feuerwehr, Bäcker, Metzger: alles da, was man braucht."

Im Zuge des Regierungs-Ortswechsels musste sich auch die Berliner Senatsschulverwaltung durch ein Labyrinth von Vorurteilen, Ansprüchen und Vorstellungen der elterlichen Minister, Abgeordneten und Lobbyisten schlagen. Unterrichten im Osten noch Stasi-Lehrer? Vermitteln Ost-Berliner Lehrer den gleichen Stoff wie die West-Berliner Pädagogen? Solche Fragen bleiben dem Schulleiter von Flos Schule, Dirk Reiche, erspart. Bei ihm stehen seit Jahren Zuzugs-Familien auf der Warteliste.

Kinder wie Flo, die in ihrem kurzen Leben bereits mehr Plätze auf der Welt kennen gelernt haben, als Globetrotter Stempel im Reisepass aufweisen können. Helene aus der 5a kam in London zur Welt, in den Kindergarten ging sie in Frankreich. Yui stammt aus Japan, hat aber wie Kiki schon Burger in den USA gegessen. Alicia kam unter anderem über Brasilien, Moskau und London nach Berlin. Alexander und Max mit Vätern im Auswärtigen Amt kennen sich aus Brüssel.

Die Eltern des neunjährigen Alexanders, der derzeit bei seinem Onkel wohnt, lernen die Stadt so richtig erst Mitte Oktober kennen. "Am 22. Oktober habe ich Geburtstag, das wird dann eine Feier in Umzugskartons." Alexander hat in Berlin "sehr viele schöne Seen entdeckt". Aber das Freibad in Bonn direkt um die Ecke, das hätte er am liebsten auch mit in die neue Heimat genommen.

Annette Kögel

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